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II Äußere Merkmale und Aspekte der Pez-Korrespondenz

II.1 Die Abfassung des Briefes

Wenig ist den Beobachtungen, die im Hinblick auf die ersten Jahre der Pez-Korrespondenz gemacht wurden161, hinzuzufügen. Nach wie vor folgt der über- wiegende Teil der Briefe dem Modell eines lateinischen Freundschaftsbriefes mit mehr oder weniger ausgeprägten klassizistischen Anspielungen, etwa in der Gestal- tung des Datums, der Verwendung von Zitaten oder dem Einflechten griechischer Ausdrücke, die freilich kaum über einzelne Wortgruppen hinausgehen und nicht selten auch fehlerhaft sind.

159 Zur Diskussion um den Antiquarianismusbegriff vgl. FUMAROLI, Momigliano; GALLO, Antiquari; HASKELL, History; HERKLOTZ, Cassiano Dal Pozzo; HERKLOTZ, Critical Review; JACKS, Antiquarian; KAUFMANN, Antiquarianism; MILLER, Introduction; MILLER, Peiresc’s Europe; PHILLIPS, Reconsiderations; SAWILLA, Antiquarianismus; SAWILLA, Vom Ding zum Denkmal; SCHNAPP, Conquête du passé; VÖLKEL, Histori- scher Pyrrhonismus. Die „klassische“ Referenz, von der sich die meisten dieser Beiträge mehr oder weniger entschieden abgrenzen, liefert MOMIGLIANO, Ancient History.

160 Der Wandel der Zeitwahrnehmung und der Geschichtsvorstellungen, der vielfach erst in der „Aufklärung“ oder in der Zeit um 1800 angesetzt worden ist, wird von Teilen der neueren Forschung deutlich früher verortet: FULDA Offene Zukunft; SAWILLA Geschichte; SCHIFFMAN Birth of the Past. Aus der breiteren Diskussion um diese Gesichtspunkte sei verwiesen auf BREWER Enlightenment Past; EDELSTEIN Enlightenment 72–74; ENGELS et al., Geschichte; HARTOG Régimes d’historicité; KOSELLECK Historia Magistra Vitae; KOSELLECK Vergangene Zukunft; MUHLACK Geschichtswissenschaft. Zur Anwendung dieser Fragen auf das Schaffen Bernhard Pez’ vgl. WALLNIG Ordensgeschichte als Kulturgeschichte.

161 WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 20–28.

Mitunter finden sich am Briefanfang oder am oberen Seitenrand Invokationen wie Pax Christi (Nr. 677, 712, 717) oder α ω (Nr. 1002). Die Anreden zeigen bei aller Standardisierung immer wieder Variationen im Detail. Die protestantischen Korrespondenten beweisen einige Unsicherheit hinsichtlich der korrekten Titulatur für Ordensgeistliche162; aber auch Bernhard selbst wird von Wydemann freundlich darauf hingewiesen, dass für einen Kartäusermönch nur frater üblich ist (Nr. 855). Edlinger verfällt einmal in die irrige Annahme, dass Hieronymus der Doktortitel zustehe, und entschuldigt sich umständlich dafür, diesen bisher in Adressen und Anreden nicht berücksichtigt zu haben (Nr. 513).

Briefe oder größere Briefteile in anderen Sprachen als Latein sind seltene Aus- nahmen, so der deutsche Brief des Johann Ludwig von Bressler und Aschenburg (Nr. 604). Im Falle der französischen Briefe und Passagen bei Edlinger (Nr. 994, 999, 1001, 1010) handelt es sich um eine von Hieronymus gewünschte Vorsichts- maßnahme im Zusammenhang der Streitigkeiten im Melker Konvent; in ähnlicher Weise fordert Bernhard von Karl Gustav Heraeus, sensible Abschnitte einer Ant- wort französisch abzufassen, und bedient sich dabei selbst an der entscheidenden Stelle des Griechischen (Nr. 992). Auch in den Aufzeichnungen Hieronymus’ zu dem Konflikt mit Dietmayr dienen französische Formulierungen demselben Zweck (Abschnitt I.1). In der Korrespondenz mit Meichelbeck scheint hingegen zur Tar- nung von Mitteilungen über die geplante benediktinische Gelehrtenkongregation ein vereinbarter modus loquendi eingesetzt worden zu sein, bei dem die Namen der beteiligten Personen durch jene von realen, aber teils schon verstorbenen polnischen Geistlichen und Höflingen ersetzt wurden (Nr. 951, 952, 1024).

Dass mit dem Französischen nicht nur ein sprachliches, sondern aufgrund der fremdartigen Schreibschrift auch ein Problem der Lesbarkeit einhergehen konnte, musste Bernhard schmerzlich im Briefwechsel mit Augustin Calmet erfahren: Des Französischen mächtig, regte er ausdrücklich die Übermittlung des Schriftsteller- katalogs der Kongregation von St.-Vanne in dieser Sprache an, musste dann jedoch um eine lateinische Neufassung bitten, weil er das Erhaltene nur unvollständig zu entziffern vermochte (Nr. 708, 762).

Nicht alle Briefe sind von der eigenen Hand des unterzeichnenden Absenders geschrieben. Diktate an einen Sekretär sind teils an der Schrift oder anhand von Hörfehlern erkennbar (Nr. 552, 594, 633, 717, 749, 754), teils werden sie explizit kenntlich gemacht (Nr. 782) und fallweise auch entschuldigt, etwa mit Krankheit (Nr. 604). Dass die Anfertigung einer Reinschrift eine Frage der Höflichkeit unter Briefpartnern war, deutet Eckhart an, indem er sich entschuldigt, einen Brief nicht ins Reine geschrieben zu haben, und Bernhard im Gegenzug die Freiheit zu der- selben Unterlassung einräumt (Nr. 959). Von Bernhard ist aus dem Betrachtungs- zeitraum kein Briefkonzept erhalten; bei dem einzigen von Hieronymus ist erkenn- bar, dass dessen schlechte Lesbarkeit bei der Reinschrift an einer Stelle zu einem Fehler geführt hat (Nr. 539).

Für Korrekturen wird in aller Regel auf Streichungen zurückgegriffen. Auch hier gibt es vereinzelt andere Gepflogenheiten, wie das Überschreiben bei Van den Driesch, die Rasur bei Freschot oder das Unterpungieren bei Dullinger. Wydemann hat die Angewohnheit, Änderungen der Wortfolge durch überschriebene Zahlen vorzunehmen. Er ist auch der einzige Korrespondent, der zu wiederholten Malen die Schrift mittelalterlicher Vorlagen nachahmt, um paläographische Probleme an- schaulich werden zu lassen163.

162 Cyprian, Eckhart und Schmincke verwenden alle das im katholischen Bereich nicht übliche maxime reverendus: Nr. 715, 870, 891, 1014.

Der Weg des Briefes

Die Versendungswege der Briefe waren vielfältig. Bei einigen Stücken lassen Faltung, Adressen und Freimachungsvermerke die Versendung mit der Post klar erkennen. Die Vermerke bieten fallweise recht genauen Aufschluss über die Route bis zum Bestimmungsort (Nr. 913)164. Lack- oder Oblatensiegel wurden zum Ver- schließen der Briefe verwendet; beim Öffnen entstanden manchmal Schäden, auch solche mit Textverlust. Zur Sprache kam die Unversehrtheit von Briefen – oder das Gegenteil – vor allem dann, wenn von ihrer Weiterleitung die Rede war; einen geöffneten Brief weiterzugeben, bedurfte der Rechtfertigung (Nr. 783) oder schien gänzlich indiskutabel (Nr. 1009).

Eine andere Möglichkeit der Übermittlung ergab sich durch klostereigene Bo- ten. Die Kartause Gaming beschäftigte einen solchen, der regelmäßig Sendungen zwischen ihr und der Poststation in Kemmelbach beförderte (Nr. 888, 1016). Über größere Entfernungen unterwegs waren die Rotelboten, die nach dem Tod eines Konventualen dessen Totenrotel in die konföderierten Klöster brachten. Sie galten anscheinend als so verlässlich, dass wenigstens in einem Fall einem Rotelboten die Überbringung einer mittelalterlichen Handschrift anvertraut wurde (Nr. 902). Der Nachteil lag darin, dass dieser Übermittlungsweg nur unregelmäßig und zu kaum vorhersehbaren Gelegenheiten verfügbar war. Diplomatische Kommunikations- wege standen Johann Georg Eckhart offen, der als welfischer Hofhistoriograph auf die Vermittlung des hannoverschen und des osnabrückischen Gesandten am Kai- serhof zurückgreifen konnte (Nr. 862, 870, 1032). Von einem jungen Gelehrten auf Reisen, nämlich dem späteren langjährigen Pez-Korrespondenten Johann Frie- drich Schannat, ließ Sigler einen Brief überbringen (Nr. 821). Bernhard bediente sich weiterhin der in Wien studierenden Melker Fratres zur Zustellung von Schrei- ben an seine dortigen Korrespondenten; einer von ihnen, Kaspar Altlechner, bat vor seiner Abreise von Wien um die Zusendung von Briefen für Gentilotti und Bar- tenstein, damit er sich von diesen verabschieden könne (Nr. 648).

Regelmäßig wurden auch Vermittler eingeschaltet, die Briefe oder Sendungen weiterleiteten oder sich als Zwischenstationen zur Verfügung stellten. Meichelbeck, Apronian Hueber oder Thier verteilten die Enzykliken Bernhards in beträchtlicher

163 In diesen, und ausschließlich in diesen, Fällen werden die verwendeten Kürzungen in editorischen Anmer- kungen möglichst exakt wiedergegeben.

164 Als wichtige neue Veröffentlichung auf diesem Gebiet ist hinzuweisen auf HELBIG, Postvermerke.Zahl (Abschnitt I.3) und gaben auch Antworten an Bernhard weiter, die fallweise an diesen (Nr. 926), häufig jedoch auch vorderhand an sie selbst gerichtet waren (Nr. 603, 890). Martène legte bereits seinem ersten Schreiben an Bernhard einen weiteren Brief eines Mauriners aus der französischen Provinz bei (Nr. 677, 678).

Die Suche nach vertrauenswürdigen Vermittlern stellt denn auch immer wieder ein Thema in den Briefen selbst dar, wodurch in anschaulicher Weise die Kontakte der Gelehrten in unterschiedlichen Milieus sichtbar werden. Eckhart schlug seine Schwiegermutter, die Witwe Uffelmann in Braunschweig, vor (Nr. 959); auf Bitten Bernhards schickte Meichelbeck ein für diesen bestimmtes Buch nach Ybbs, wohl an Barbara Sophia Greimbl, die Mutter der Brüder Pez und Gastwirtin „Zur Goldenen Sonne“ (Nr. 924). Zwischen Eckhart und Bernhard wurde für eine wertvolle Sen- dung der Leipziger Buchhändler und Verleger Johann Gottlieb Gleditsch einge- schaltet (Nr. 981, 1003); im Austausch mit Buchels spielte der Nürnberger Buch- händler Peter Konrad Monath eine ähnliche Rolle (Nr. 1035). Ein Arzt, der von Melk nach Gaming ging, um den Kartäusern dort seine Dienste zu leisten, wurde von Wydemann in Betracht gezogen (Nr. 929). Freschot brachte einen in Wien als Hofmeister lebenden Franzosen ins Gespräch (Nr. 777), Van den Driesch einen Bekannten, der in die Niederlande reiste (Nr. 1000).

Sieht man von den verlorenen Maurinerschreiben nach dem Tod Massuets ab (Nr. 669, 670), so scheint sich nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges die Zuverlässigkeit der Post doch verbessert zu haben. Dennoch bildete die Verstän- digung darüber, welche Schreiben wann angekommen waren und bei welchen der Verlust vermutet wurde, ein stetig wiederkehrendes Thema vieler Korresponden- zen, gerade jener über größere Entfernungen165. Die doppelte Versendung eines Briefes von Giuseppe Maria Sandi – einmal mit der Post, ein zweites Mal mit einer Büchersendung, die über Bozner Kaufleute abgewickelt wurde – zeigt, zu welchen Vorsichtsmaßnahmen gegriffen wurde, wenn man sich des Erfolgs der Übermitt- lung nicht sicher war (Nr. 811).

Weniger vordergründig zu erkennen, aber doch immer wieder andeutungsweise präsent ist der Umstand, dass Briefe auch innerhalb der Klöster nicht nur durch die Hände der Absender und Empfänger gingen. Bei Friepeis wird einmal beiläufig erwähnt, dass eine für ihn bestimmte Sendung bei ihrem Eintreffen in Andechs zu- nächst im Priorat abgegeben wurde (Nr. 1009); der Benediktbeurer Abt Magnus Pachinger händigte Meichelbeck von Bernhard gesendete Bücher aus (Nr. 924). Anhaltspunkte für eine Einschau der Superioren gibt es – verständlicherweise – nur in indirekter Form; die Verwendung des Französischen oder von Decknamen gibt den vielleicht stärksten Hinweis in dieser Richtung (Abschnitt II.1). Meichelbeck erwähnte einmal ausdrücklich, dass Abt Pachinger einen seiner Briefe vor der Ver- siegelung gelesen hatte, stellte dies jedoch als zufällig dar ( contigit ); der Eingriff des Prälaten in den Briefinhalt beschränkte sich auf den Auftrag, Grüße zu bestellen (Nr. 835)166. Selten wurde ausdrücklich gesagt, dass ein Schreiben auch im Namen

des Oberen verfasst werde (Nr. 763). Der Hinweis auf vorgesetzte Instanzen, deren Genehmigung erforderlich war, trat freilich auch im weltlichen Bereich auf, so bei Cyprian am gothaischen (Nr. 715) und bei Eckhart am hannoverschen Hof. Auf Abhängigkeitsverhältnisse und Unsicherheit hinsichtlich der Privatheit von Brief- inhalten deuten auch Anspielungen in den Briefen von Bartenstein und Van den Driesch hin, die mehrfach erklärten, Näheres im direkten persönlichen Gespräch mitteilen zu wollen (Nr. 690, 756, 877).

Auch wenn er seinen intendierten Empfänger erreicht hatte, war der Weg des Briefes noch nicht in allen Fällen zu Ende. Die Weitergabe an Dritte war gängige Praxis, sei es physisch im Original oder abschriftlich durch die Übernahme kurzer oder langer Passagen, wie dies Bartenstein mit den Briefen De la Rues an Widow tat (Nr. 555, 581). Solches Handeln konnte der Intention des Briefschreibers ent- sprechen, aber auch ohne dessen Wissen und Wollen geschehen. Besonders gerne wurden im Umkreis der Brüder Pez sichtlich Briefe von Maurinern hergezeigt, der enthaltenen Nachrichten aus Frankreich wegen, aber auch aus Verehrung für die Maurinergelehrten: Edlinger berichtete, dass er einen von Hieronymus mitgeteilten Brief Massuets geküsst habe (Nr. 504). Gentilotti wurden von Bernhard mehrmals Maurinerbriefe übermittelt (Nr. 485, 719); Gentilottis Bruder, der erzbischöflich salzburgische Kanzler Johann Franz Gentilotti, zeigte Bernhard und Hieronymus während ihrer Reise 1717 ein Schreiben Montfaucons vor (Nr. 796). Mehr prag- matische Gründe im Rahmen des Büchertausches mit Buchels hatte die Vorlage zweier von diesem an Van den Driesch gerichteter Briefe an Bernhard (Nr. 1000). Anscheinend zum Spott machte hingegen ein Brief eines gewissen Wagner, vielleicht des Jesuiten Franz Wagner, die Runde (Nr. 504). Dass ein delikater Brief Bern- hards an Bartenstein über die gerade ausgebrochene Kontroverse mit Gentilotti an eben diesen gelangte, dürfte ebenfalls schwerlich im Sinne des Absenders gewesen sein (Nr. 828).

Nach der unmittelbaren Lektüre eines Briefes konnten weitere Arten der Nut- zung über einen längeren Zeitraum folgen; damit verbunden war die Entscheidung über Aufbewahrung oder Vernichtung sowie, im ersteren Fall, über Ort und Art der Lagerung. Aufschlüsse dazu ergeben sich mitunter aus der Überlieferungssituation.

165 Vgl. EGMOND, Correspondence 123f.

166 Ein ähnlicher Fall liegt möglicherweise bei dem Postskriptum zu Nr. 834 vor.