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I Umfeld und Aktivitäten der Brüder Pez 1716–1718

I.1 Leben und Konflikte im Kloster

Betrachtet man die Melker Prioratsephemeriden – die zentrale Quelle für die Rekonstruktion des alltäglichen Lebens im Kloster2 –, so fällt im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren eine zunehmende und deutlicher profilierte Präsenz der Brüder Pez auf. Freilich sind bei ihnen nicht anders als bei anderen Konventualen regelmäßig zu Jahresbeginn die ihnen übertragenen Ämter vermerkt3; freilich fungieren die Brüder wiederholt als Zinseinheber4; wie bisher wird zudem von ihren Reisen (vgl. Abschnitt I.2) sowie den Kontroversen berichtet (vgl. Abschnitt I.5), doch sind mittlerweile auch die meisten verzeichneten Besuche in Melk in einen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Brüder zu setzen, und vor allem nimmt der Konflikt des Sommers 1718 breiten Raum ein.

Dies ist gut verständlich, zumal die Niederschrift der Ereignisse durch Prior Valentin Larson rückblickend erfolgt zu sein scheint5 und wegen dessen eigener Verwicklung in den Streit zugleich sichtbar apologetische Züge trägt. In der nun folgenden Darstellung wird die Perspektive der Prioratsephemeriden6 stellenweise durch das „Diarium“7 von Hieronymus ergänzt, aus dessen Aufzeichnungen eine neutralere, jedoch durchaus von Sympathie für seinen Bruder getragene Haltung spricht; ein Bewusstsein für die Sensibilität der Angelegenheit dürfte Hieronymus veranlasst haben, aus seiner Sicht besonders problematische Stellen in französischer Sprache zu schreiben8. In beiden Quellen stehen klosterinterne Ereignisse neben

2 StiA Melk, Kartons 5 Priorat 9–13. Für den hier behandelten Zeitraum relevant: PE 5 148–196. Zu den Prioratsephemeriden als Quelle vgl. EYBL, Zwischen Psalm und Werther 336; FREEMAN, Practice of Music 34f.; STOCKINGER, Stabilitas loci 250–253.

3 Bernhard war 1716 Bibliothekar, dazu ab 1717 auch Beichtvater und Prediger. Hieronymus scheint 1716 als bibliothecarius secundarius auf, in den beiden Folgejahren nur als Beichtvater und Prediger: PE 5 148, 156, 168, 196. Zu Bernhard als Bibliothekar vgl. GLASSNER, Pez als Bibliothekar; GLASSNER, Melk 148; STOCKINGER, Klosterbibliothekar.

4 Am 23. November 1716 Bernhard in Aigen; am 3. November 1717 Bernhard und Hieronymus in Land-friedstetten und Kendl; am 7. November 1718 Bernhard wiederum in Aigen: PE 5 155, 166, 194.

5 Dies legen jedenfalls das einheitliche Schriftbild der Schilderung sowie zahlreiche zeitliche Vorgriffe nahe, etwa der Verweis auf ein Schreiben vom 7. August im Eintrag zum 29. Juli 1718: PE 5 186; vgl. ebd. 182. Überhaupt sind die Ephemeriden in ihrer heute überlieferten Form, zumindest für die Amtszeit Larsons, als Reinschrift auf der Grundlage von Notizen anzusehen: vgl. STOCKINGER, Stabilitas loci 256. Zu Larson vgl. Abschnitt I.3 sowie Verzeichnis der Pez-Korrespondenten.

6 PE 5 176–196. Hierauf stützen sich auch die Darstellungen bei EYBL, Zwischen Psalm und Werther 345f.; GLASSNER, Académie 493f., 501–503. Weiters vgl. GLASSNER, Benediktinerakademie 147.

7 Die Bezeichnung stammt von Hieronymus Pez selbst: StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 25r.

8 Der für den Zeitraum relevante Abschnitt befindet sich in StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 15r–v, 25r–38v, 46r–47v; die Darstellung des Streites um Gabriel Wengemayr ebd. 36v–37v. Der Text ist stellenweise nur mit äußerster Mühe zu entziffern. Zitierte Einzelwörter innerhalb der Paraphrasen werden in dieser Einleitung, ähnlich wie in den Briefregesten, im Nominativ respektive Indikativ wiedergegeben.

allgemeinen Nachrichten über das tagespolitische Geschehen, wobei zunehmendes Interesse an der habsburgischen Kriegsführung auf dem Balkan zu bemerken ist. Die Aufzeichnungen von Hieronymus – einmal wird als Quelle das „Wiennerische diarium“ (Nova Viennensia scripta) angegeben9 – waren anfangs fast ausschließlich tagespolitisch angelegt, in den Prioratsephemeriden treten Meldungen zu politischen und militärischen Themen während dieser Jahre im Vergleich zu ihrer früheren Berichtspraxis vermehrt auf.

Zwei Umstände sind vor allen anderen als Hintergründe für den Konflikt im Sommer 1718 zu bedenken. Zum einen überlagerten sich die seit der Abreise Gottfried Wilhelm Leibniz’ und dem Ableben des Obersthofkanzlers Johann Friedrich Grafen Seilern ins Stocken geratenen, dann jedoch unter Beteiligung von Johann Christoph Bartenstein neu belebten Pläne zur Gründung einer Akademie in Wien immer deutlicher mit dem Vorhaben der Errichtung einer benediktinischen Gelehrtengemeinschaft, in der Bernhard mit einer wichtigen Rolle rechnen konnte (vgl. Abschnitt I.5). Zum anderen zeigte sich bereits im Zusammenhang mit der Klosterreise 1716, mehr noch mit der des Folgejahres immer deutlicher, dass sich das Auftreten und die Vorhaben der Brüder Pez keineswegs ungeteilter Sympathien erfreuten. Dies gilt für Gerüchte und Spötteleien innerhalb (Nr. 674, 691, 900) und außerhalb des Ordens (Nr. 867, 883) ebenso wie für die heftige Kontroverse mit Johann Benedikt Gentilotti von Engelsbrunn, in die möglicherweise noch die Auseinandersetzung mit den Jesuiten hineinspielte (vgl. Abschnitt I.5).

Die erste Nachricht von Gentilottis Angriffsschrift im Zusammenhang mit der geplanten Edition des „Codex Udalrici“ erreichte Bernhard während der Reise im Sommer 1717; er skizzierte offenbar im Affekt einige Punkte für seine Antwort auf einem eben erhaltenen Brief aus Leipzig (Nr. 759). Am Ende der Reise waren die Kräfte der Brüder erschöpft (Nr. 817), in den Winter fallen die Aufarbeitung des Gesammelten (vgl. Abschnitt I.4) sowie die Erwiderungsschrift gegen Gentilotti. Im frühen März 1718 erlitt Bernhard einen gesundheitlichen Zusammenbruch, der auch bei mehreren seiner Korrespondenten große Sorgen hervorrief (Nr. 944, 947, 950). In den Prioratsephemeriden – als Einfügung zum 6., 7. und 8. März – ist von plötzlich auftretendem, heftigem Erbrechen, starkem Schwindel und einer langsamen Rekonvaleszenz die Rede10.

Annähernd zeitgleich, zum 15. März, wird in den Prioratsephemeriden eine Disziplinarverfehlung eines sacerdos quidam behandelt. Bereits im Oktober 1717 war dieser wegen ungehörigen vertrauten Umgangs und privater Zusammenkünfte mit einer jungen Frau von Abt Berthold Dietmayr mit Wasser und Brot bestraft worden; da er sich seither nicht gebessert hatte, musste er nun drei Tage lang auf dem Boden essen, und zudem wurde ihm eine öffentliche Zurechtweisung ( publica

9 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 28v. Dass diese seit 1703 erscheinende erste regelmäßige Zeitung Österreichs in niederösterreichischen Klöstern bezogen wurde, zeigt auch eine Erwähnung durch Leopold Wydemann: Nr. 1023.

10 PE 5 172: Pater Bernardus subita bilis effusione indeque secuto adeo violento vomitu ingentique capitis vertigine vitae periculum subiit, qui quidem brevi per solertiam domini medici exemptus est, lente tamen ad pristinam valetudinis integritatem rediit.

disciplina ) angedroht11. Diese Umstände sind insofern von Bedeutung, als sich der Konflikt des folgenden Sommers an Fragen des Strafausmaßes und des Verfahrens bei Verfehlungen verwandter Art entzünden sollte; möglicherweise handelte es sich bei dem hier und 1717 zur Rechenschaft gezogenen Delinquenten auch bereits um Gabriel Wengemayr.

Das Einvernehmen zwischen Bernhard und seinem Abt hingegen scheint zu diesem Zeitpunkt noch vorhanden gewesen zu sein. Dietmayr reiste am 25. April 1718 per Kutsche nach Wien, während seine beiden Konventualen Bernhard Pez und Adalbert Eder zeitgleich den Wasserweg benutzten12. Auf explizite Weisung des Prälaten, so Hieronymus13, geschah es, dass Bernhard in Wien mit einigen Hofleuten (aulae ministri ) auf deren Wunsch zusammentreffen konnte, die von seiner Gelehrsamkeit angezogen wurden, wie der Prior angibt ( fama eruditionis allecti ). Bezeichnenderweise nimmt Larson diese sonst in den Prioratsephemeriden nicht inhaltlich kommentierten Kontakte zum Anlass, um, gleichsam als Erläuterung der jüngsten gelehrten Errungenschaften im Leben Bernhards, in kurzen Worten die Geschichte der Auseinandersetzung mit Gentilotti zu schildern, wobei diese deutlich als Sieg Bernhards dargestellt und seine religiöse und gelehrte Zurückhaltung gelobt wird. Ausführlichere Angaben zu dieser Reise Bernhards nach Wien und zu den bei Hof geführten Gesprächen, in denen es offenbar um die Frage der Errichtung einer benediktinischen Gelehrtengesellschaft ging, bietet Hieronymus Pez in seinen Aufzeichnungen (Abschnitt I.5)14.

Am 17. Mai 171815 kehrte Bernhard nach Melk zurück, wobei er jene goldene Medaille bei sich hatte, die er durch die Vermittlung Johann Georg Eckharts für einen Beitrag zur Geschichte des Welfenhauses erhalten hatte (Nr. 938). Das Stück war etwa 200 Gulden wert; Bernhard händigte es – statutenkonform – seinem Abt aus, nachdem er es im Gespräch seinen Mitbrüdern gezeigt hatte16.

Bereits am 14. Mai 1718 war im Kapitel ein folgenreiches Lektüreverbot des Abtes verkündet worden. Es bezog sich auf belletristische Literatur: Liebesromane – libri die liebsromänen dicti – durften demnach gar nicht, die kriegsromanen nur nach eingeholter Erlaubnis des Priors gelesen werden17. Zeitgleich mit Bernhard – am 17. Mai – kam der aus Wien wegen Verfehlungen zurückgerufene Theologiestu- dent Joachim Priestersperger18 ins Kloster zurück. Er hatte tatsächlich einige der

11 PE 5 172: ob nimia cum puella quadam familiaritate et privata conventicula

12 Die folgende Schilderung nach PE 5 174.

13 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v.

14 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v.

15 PE 5 176: 12. Mai; der nächste nachgewiesene Brief von Bernhard, Nr. 938, stammt vom 19. Mai. Er hält darin fest, dass er am 14. Mai die Goldmünze ausgehändigt bekommen hat; dies erfolgte laut StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v, in Wien, was den 17. Mai als Datum seiner Rückkehr nach Melk plausibler erscheinen lässt.

16 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v: tradidit domino abbati, postquam nobis in discursu ex-hibuisset.

17 PE 5 176; vgl. EYBL, Zwischen Psalm und Werther 345f.

18 Vgl. Verzeichnis der Pez-Korrespondenten. Er war bereits 1716 in eine disziplinäre Angelegenheit verwickelt gewesen, in der es um das Benehmen der Melker Studenten in Wien ging: StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 15v.

fraglichen Bücher besessen19 und begann am 18. Mai unter der Leitung des ihm als Spiritual zugewiesenen Bernhard achttägige Exerzitien20. Am 25. Mai entschied der Abt nach Beratungen im Priorat, zu denen auch Bernhard beigezogen wurde, dass Priestersperger als Strafe seine Fehltritte nach dem Wortlaut eines von Prior Larson aufgesetzten Schriftstücks ( scheda ) vor dem Konvent zu bekennen hatte. Hinzu kamen weitere Zurücksetzungen; der Abt hatte auch die Kerkerhaft erwogen. Priestersperger erfüllte diese Auflagen, wurde jedoch erst Jahre später wieder zum Studium zugelassen.

Was sich in den folgenden Monaten ereignete, steht mithin ebenso in einem Zusammenhang mit dem entschiedenen Willen des Klostervorstehers, disziplinäre Verfehlungen seiner Konventualen in den Griff zu bekommen, wie mit divergierenden Ansichten innerhalb des Konvents hinsichtlich der Fragen, worin eine solche Übertretung überhaupt bestand, wie sie zu gewichten und wie sie zu bestrafen sei. Auseinandersetzungen zwischen Abt und Konvent waren keine Neuheit, doch ist an dem sich nun entspinnenden Fall bemerkenswert, dass sukzessive das Thema Lektürekanon sowie das Ringen um Deutungshoheit über monastische Gebräuche, ja um die Interpretation der Regel selbst, die gewiss auch persönlichen Bruchlinien polemisch aufzuladen und damit zu verallgemeinern begannen.

Am 12. Juli 1718 wurde Gerhard Eineder auf die Pfarre Immendorf, Victorinus Haan auf die unmittelbar anliegende Pfarre Wullersdorf versetzt21. Die beiden traten dort an die Stellen des in den beiden Pfarrorten negativ aufgefallenen Gabriel Wengemayr sowie des kränkelnden Rainer Reither22. Eineder und Haan mussten brieflich den Erhalt einer einschlägigen Instruktion quittieren und deren Beachtung zusagen. Während ab dem 15. Juli eine durch den Abt eingeleitete Untersuchung ihren Lauf nahm, welche die Einzelheiten von Wengemayrs Verfehlungen ans Licht bringen sollte23, kam es am 21. Juli aus einem – soweit feststellbar – damit nicht zusammenhängenden Grund zu einem Eklat zwischen Bernhard und seinem Abt. Am 16. Juli hatte der Konvent in der üblichen Form des schriftlichen Scrutiniums den Novizen Laurenz Jani mehrheitlich abgelehnt, ihm also die Zulassung zur Profess verweigert24. Der Abt konnte die von Prior und Novizenmeister dargelegten Gründe dafür aber nicht nachvollziehen und versammelte am 21. Juli die Priestermönche, um ihnen dies mitzuteilen. Seine Ausführungen, die einen Hinweis auf

19 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 36r.

20 Die folgende Darstellung nach PE 5 176f.; StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v–36r.

21 PE 5 179f. Zu den beiden Mönchen vgl. StiB Melk, Cod. 493, 73v, 76r; zu Haan weiters FREEMAN, Practice of Music 315, 361f.; KEIBLINGER, Melk 1 964. Beide Orte liegen im Weinviertel in einer Entfernung von an die 100 Kilometern von Melk.

22 Zu ihnen vgl. StiB Melk, Cod. 493, 76r–v. Wengemayr war zu Jahresbeginn 1718 Vikar in Immendorf; ein Jahr später lebte er im Kloster. Reither war Anfang 1718 noch im Kloster und erscheint am Jahresbeginn 1719 als Vikar von Weikendorf: PE 5 169, 197f. – Zu den größtenteils späteren klosterinternen Auseinandersetzungen um Wengemayr liegt umfangreiches Material vor in StiA Melk, Karton 7 Patres 14.

23 Die folgende Darstellung folgt der sehr ausführlichen Schilderung der Tage zwischen dem 15. Juli und dem 10. August in PE 5 179–189.

24 Ein Bericht des Novizenmeisters Adrian Pliemel über diesen Vorgang findet sich in StiB Melk, Cod. 1071, 175r–176v. Zu Jani vgl. Cod. Mell. 493, 78v. Zum Ablauf der Scrutinien vgl. WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit 123–126.

seine Befugnis zur Beibehaltung des Novizen ebenso umfassten wie die Zusicherung, die Entscheidung dem Konvent überlassen zu wollen, stimmten den Großteil der Anwesenden um; lediglich fünf blieben bei ihrer Auffassung. Unter diesen befand sich ein von Larson nur mit den Initialen P. B. bezeichneter Konventuale, was sich mit höchster Wahrscheinlichkeit als „Pater Bernardus“ auflösen lässt, wie dies be- reits in einer wohl von Eduard Ernst Katschthaler25 stammenden handschriftlichen Ergänzung in den Ephemeriden geschehen ist. Diese Person äußerte unter anderem, dass es dann am besten wäre, wenn der Abt sich selbst um die Novizen kümmerte, da das Urteil der Konventualen ja nichts zähle. Diese Worte – „geeignet, Zwietracht zu säen“, wie Prior Larson dazu vermerkte – beleidigten den Abt tief 26.

An den folgenden Tagen wurde der Abgleich der Aussagen Wengemayrs mit dem Ergebnis der Untersuchung fortgesetzt, was für diesen ungünstig verlief. In der Darstellung der Prioratsephemeriden wird besonderer Wert darauf gelegt, dass der Abt in dieser Phase durch den Prior stets auch Mitglieder des Konvents um ihre Meinung zum Strafausmaß bat. Dem Gesuch einiger Mönche um Milderung, dem sich auch Prior Larson selbst anschloss, wurde jedoch vom Abt nicht stattgegeben, woraufhin Wengemayr mehrere vergebliche Versuche unternahm, persönlich bei Dietmayr vorzusprechen.

Wiederum verfasste der Prior einen Text für das öffentliche Schuldbekenntnis Wengemayrs, das dieser unter Prosternation und Selbstgeißelung am 23. Juli 1718 verlas. Später an diesem Tag wendete er sich allerdings wiederum an Larson, um die Gründe seiner Verurteilung im Detail zu erfragen. Im Zuge dieser Unterredung übergab er vier inkriminierte Bücher, wobei er zwei weitere – darunter eines von noch „wollüstigerem“ Inhalt ( alius [...] magis [...] libidinosus ) – verschwieg, die er einigen jungen Frauen, wohl aus seiner Pfarre Immendorf, geliehen hatte; ebenso vier Werke, die in einer Kiste bei einem Bürger verwahrt waren27. Der Prior hielt Wengemayr vor, dass solche Bücher vom Tridentinum streng verboten seien und auf dem Index stünden, und dass Wengemayr so nicht nur sich, sondern durch die Weitergabe auch die Frauen und seine Pfarrkinder insgesamt in Gefahr sowie das Kloster Melk in Verruf gebracht habe.

Diese Erläuterungen schienen Prior Larson ausreichend, doch bemühte sich Wengemayr am 24. Juli erneut um eine Vorsprache beim Abt. Da ihm diese nicht gewährt wurde, legte er dem Prior dar, dass er seine Strafe für unangemessen halte, und erbat die Erlaubnis, in der Sache an die Wiener Nuntiatur zu rekurrieren. Dem Versuch des Priors, ihm dies auszureden, begegnete er mit der entschlossenen Beteuerung, die Sache nun Gott allein überantworten zu wollen. Zudem gäben ihm alle Mitbrüder Recht, so viele er auch danach fragte; unter diesen sei auch ein „in

25 Zur Geschichte der Erforschung der Pez-Briefe vgl. WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 28–31.

26 PE 5 181: [...] optimum denique fore, ut reverendissimus dominus ipsemet totam novitiorum curam susciperet, cum aliunde vota conventualium nullius roboris essent. Quae verba, sicut ad seminandas discordias peropportuna erant, ita reverendissimum dominum graviter offenderunt

27 Zwei der Werke lassen sich identifizieren: „Der getreuen Bellamira wohlbelohnte liebes-probe“ von August Bohse sowie „Der verliebte eremit“ von Johann Rost. Dies stützt sich auf ein Verhörprotokoll vom 15./22. Juli 1718 in StiA Melk, Karton 7 Patres 14; vgl. GLASSNER, Académie 502.

diesen Fragen sehr gebildeter Mann“28, in dem man, wiederum mit Katschthalers Ergänzung, Bernhard erkennen mag. Der am Folgetag informierte Abt verweigerte seine Zustimmung zu einer Berufung an die Nuntiatur, stellte Wengemayr aber frei, eine solche allenfalls gegen seinen Willen einzubringen – er, Dietmayr, werde dann schon antworten29.

Am 26. Juli suchte nun Bernhard Pez eine Aussprache mit Larson. Wie bereits im Falle von Priestersperger war er auch Gabriel Wengemayrs Spiritual. Gegenüber dem Prior argumentierte er nun, dass ein öffentliches Schuldeingeständnis nur für Todsünden angemessen sei, dies jedoch auf Wengemayrs Fall nicht zutreffe. Zum Thema der Romane fügte Bernhard hinzu, dass das Tridentinum ja auch die „Ars amatoria“ des Ovid nicht verboten habe; Larson verwies dagegen auf Bestimmungen des „Index librorum prohibitorum“. Der Prior vermerkt zu diesem Gespräch ebenso wie zu einem Verteidigungsschreiben Wengemayrs, dass die vorgebrachten Argumente gewiss nicht von Letzterem, sondern von Bernhard stammten. Es stellt sich die Frage, ob das Verhältnis zwischen diesem und Larson vielleicht bereits vor diesen Ereignissen nicht zum Besten gestanden war. Der bemüht höfliche, jedoch keineswegs freundschaftliche, in seinem kaum verhüllten Spiel mit den Erwartungs- haltungen des Priors möglicherweise auch als latent sarkastisch zu deutende Tonfall der Briefe Bernhards an Larson während der bayerischen Reise 1717 (Nr. 796, 798, 804, 817; vgl. Abschnitt I.2) könnte dies indizieren. Jedenfalls wird deutlich, dass Bernhard darum bemüht war, seine Gelehrsamkeit und die Erfolge seiner Arbeiten in Autorität innerhalb der monastischen Gemeinschaft umzumünzen – offenbar nicht ganz ohne Resonanz unter den Mitbrüdern, aber auch nicht ohne Widerwillen bei den Superioren zu erregen.

Prior Larson wendete sich nun in der Befürchtung, das Einvernehmen zwischen Bernhard, Wengemayr und anderen Konventualen könnte die äbtliche Autorität untergraben, am 29. Juli an Dietmayr, damit dieser der Angelegenheit ein Ende bereite. Der Prälat erhielt am 7. August eine Verteidigungsschrift Wengemayrs, in der Larson abermals die Argumentation Bernhards zu erkennen glaubte. Dietmayr reiste allerdings am 10. August nach Wien, ohne vorerst eine Verfügung getroffen zu haben. Am Folgetag erreichte Bernhard ein Schreiben von Johann Christoph Bartenstein, in dem sich dieser zur großen Überraschung der Melker von der Affäre informiert zeigte (Nr. 977). Mit Nachdruck erinnerte Bernhards Verbindungsmann zu den Wiener Hofkreisen den Melker Freund an dessen klösterliche Pflichten und mahnte zum Gehorsam. Zumindest die dezidiert monastisch-theologischen Teile der Argumentation dürfte der Neokonvertit Bartenstein schwerlich selbst erdacht haben; daneben sprach er freilich auch die potentiell üblen Konsequenzen für das Wiener Kongregationsprojekt an und machte deutlich, sich im Auftrag des Grafen Starhemberg, eines der wichtigsten Förderer desselben, zu äußern. Das Schreiben, dessen einzige Überlieferung wohl nicht ohne Grund die Melker Prioratsephemeriden sind, bestürzte Bernhard zutiefst. Von Larson aufgefordert, schrieb er in der

28 PE 5 184: quotquot contulisset, atque inter eos vir valde doctus in hac materia

29 Ebd.: se tum iam responsurum.

Folge an Abt Dietmayr (Nr. 979) sowie an den Präfekten des Melkerhofes Bruno Wacker (Nr. 980) und zugleich an Bartenstein (Nr. 978), wobei er beteuerte, dass er die aufgrund seines Handelns ausgebrochene Zwietracht weder abgesehen noch beabsichtigt habe. Diese Beteuerung seiner Unschuld, deren exakter Wortlaut nicht überliefert ist, muss freilich fast zwangsläufig wenigstens implizit den Vorwurf an Larson oder andere Mitbrüder eingeschlossen haben, Bernhards Verhalten und Absichten vorsätzlich oder aus Ungeschick verzerrt dargestellt zu haben. Auch Wengemayr schrieb an den Abt und rückte dabei von dem Vorhaben einer Berufung an die Nuntiatur ab. Die Reaktion Dietmayrs folgte am 20. August in einem Brief an den Prior. Im Hinblick auf Bernhard wollte er dessen versprechen und contestationes mit seinen werken bey meiner gegenwarth in dem closter überlegen und gegeneinander sezen; bei Wengemayr anerkannte er dessen Verzicht auf den Gang zur Nuntiatur, sah aber dennoch einen Mangel an Einsicht: erkennet aber dennoch nit, wie woll er seine ausgestandene straff verdienet hat 30. Eine detaillierte Schilderung der Aussprache zwischen dem Abt und Bernhard sowie der vorangegangenen Ereignisse bietet Hieronymus Pez in seinen Aufzeichnungen31. Seine Haltung ist dabei gegenüber seinem Bruder wesentlich freundlicher als die des Priors, und mehrere Details sind bemerkenswert. Etwa wird hier beteuert, Bernhard habe Wengemayr versichert, nichts mehr für ihn tun zu können. Er sei dann völlig davon überrascht worden, dass die Sache nach außen getragen und in einer Form zur Kenntnis Bartensteins gebracht worden war, die ihn, Bernhard, als Aufwiegler gegen den Abt darstellte. Eben diesen vermutet Hieronymus als denjenigen, der die Sache Bartenstein, dem Grafen Starhemberg und anderen Personen hinterbracht hatte32 , mit denen sich Bernhard im April in Wien getroffen hatte. So ging Bernhard eher mit der Absicht in das Gespräch, sich zu rechtfertigen, als sich zu entschuldigen. Zwei – von Bernhard zurückgewiesene – Anschuldigungen des Abtes verdeutlichen, worum es ging: Dietmayr warf Bernhard unter anderem vor, die Küche reformieren zu wollen33 und bei Hof eine Temporalvisitation der Abtei zu betreiben; weiters kam zur Sprache, dass der Melker Abt kein Visitationsrecht in Bezug auf die geplante benediktinische Gelehrtengemeinschaft hätte haben sollen. Aus Dietmayrs Sicht war mithin, weit über den Anlassfall um Wengemayrs Bücherbesitz hinaus, die gesamte Verwaltung des Klosters durch den Prälaten in Frage gestellt, und der Kongregationsplan nahm sich als weiterer Versuch aus, Dietmayrs Autorität zu untergraben respektive sich ihr zu entziehen.

Das wohl Ende August oder Anfang September abgehaltene Gespräch konnte die Spannung offenbar nicht auflösen. Am 7. September 1718 schrieb Bernhard an Karl Gustav Heraeus, einen der einflussreichen Förderer des Akademieplans am Wiener Hof, und bat eindringlich um dessen Fürsprache bei Karl VI. persönlich (Nr. 992). Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe reduzierte er hierbei auf jenen in

29 PE 5 190.

31 Der folgende Abschnitt nach StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 37r.

32 Ebd.: cuius opera, ut verosimillimum

33 Ebd.: totam culinam reformare .

Bezug auf die angeblich angestrebte Temporalvisitation, vielleicht weil er hoffte, diesen besonders überzeugend widerlegen zu können durch den Hinweis, während seines Wiener Aufenthaltes kein Wort von einer solchen gesprochen zu haben. Die Angelegenheit um Gabriel Wengemayr sparte er dagegen gänzlich aus. Die bereits erreichten und noch zu erwartenden Erfolge seiner Forschungen wie auch jener von Hieronymus stellte Bernhard als akut gefährdet dar und rückte, ohne freilich den kirchlichen Aspekt ganz beiseite zu lassen, den Nutzen ihrer Arbeiten für die weltlichen Eliten in den Mittelpunkt seiner Argumentation – respublica erscheint hier mehrfach ohne den Zusatz litteraria und bezeichnet das politische Gemeinwesen, auch das Schlagwort patria wird bemüht. Wohl um einen für alle Seiten gesichtswahrenden Ausweg offenzulassen, hütete sich Bernhard, seinerseits einen Vorwurf gegen Dietmayr zu erheben; vielmehr behauptete er, dieser werde durch Lügen und Verleumdungen ( mendacia, calumniae ) in die Irre geführt.

Ob und in welcher Weise Heraeus auf die Bitte reagierte, ist nicht feststellbar, auch nicht, ob ähnliche Briefe noch an weitere potentielle Protektoren an höherer Stelle gerichtet wurden; überhaupt bleibt der weitere Verlauf der Angelegenheit in den folgenden Wochen recht unklar. Ein nicht exakt zu datierender Eintrag in den Aufzeichnungen Hieronymus’ zum Oktober 1718 berichtet, dass Bernhards disgrace andauerte34; ungenannte Freunde hätten brieflich mitgeteilt (Nr. 1013), dass der Abt mit der von Bernhard geleisteten submission und humilité keineswegs zufrieden sei, sondern vielmehr erwarte, qu’il [Bernhard] avoât [sic] et confessat tout ce, dont il a eté accusé devant lui [Dietmayr]. Hieronymus hatte auch die Identität desjenigen Mitbruders – oder eines der Mitbrüder? – in Erfahrung gebracht, von dem der Abt informiert worden war. Klemens Schramb35, der von Bernhard in Dinge rund um die Gelehrtengemeinschaft und andere Geheimnisse eingeweiht worden war, hatte diese dem Abt verraten: [Dietmayr] fut par tout ou entierement informé par une [sic] des amis de mon frere, scavoir pere Clemens, à qui il a confié son dessein de l’erection de la congregation et d’autres plusieurs secrets. Voici la perfidie de nos confreres. Im Laufe des Monats Oktober scheint sich die Situation allerdings beruhigt zu haben; während Joachim Edlinger am 6. Oktober noch auf eine Nachricht von Hieronymus reagiert hatte, die sichtlich keine Besserung anzeigte (Nr. 999), konnte Bernhard am 20. Oktober an Eckhart berichten, dass er zwar in dieser Affäre – von der er hier wiederum nur den Kongregationsplan erwähnte – beinahe um Kopf und Kragen gekommen sei, nun aber wieder halkyonische Tage kämen (Nr. 1003). In den Prioratsephemeriden finden sich zu diesem Zeitraum und zu den folgenden Monaten keine weiteren Informationen über die Auseinandersetzung.

Wie und unter wessen Beteiligung es zur Besserung der Lage gekommen war, ist somit vorbehaltlich weiterer Quellenfunde nicht zu klären. Im Lichte dessen, was sich in den folgenden Jahren zutrug, muss freilich davon ausgegangen werden, dass der Streit allenfalls oberflächlich beigelegt war. Möglicherweise ließen es die im Herbst 1718 mehrfach stattfindenden hohen Besuche in Melk (Abschnitt I.2)

34 Das Folgende nach StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 38r.

35 StiB Melk, Cod. 493, 72r. Er war ein leiblicher Bruder von Anselm Schramb.

geboten erscheinen, die Unstimmigkeiten nicht an die Oberfläche zu tragen. Doch war mit den Ereignissen des Sommers 1718 personell, inhaltlich und hinsichtlich des Handlungsrepertoires der Streitparteien bereits der offene und schwerwiegende Konflikt vorgezeichnet, der um das Ende des Jahres 1722 zwischen dem Abt und Teilen des Konvents um Bernhard Pez und Gabriel Wengemayr führen sollte36. Dass P. B. am 1. November bei dem nun positiven neuen Scrutinium über Laurenz Jani noch einmal unangenehm auffiel, blieb hingegen vorerst ohne unmittelbare Nachwirkungen – zumindest ohne solche, die aufgezeichnet worden wären37.

Die in diesem Abschnitt behandelten Vorgänge, die ihren wesentlichen Ort in der monastischen Gemeinschaft hatten, fanden in der gelehrten Korrespondenz der Brüder Pez nicht sehr oft expliziten Niederschlag. Dennoch sind sie durchgehend als Hintergrund für deren gelehrte Tätigkeit zu sehen, determinierten sie doch in existentieller Weise die materiellen Rahmenbedingungen wie auch die ideellen Ausrichtungen derselben. Sichtbar ist – auch in der Wahrnehmung der Protagonisten selbst – eine Grenze zwischen zwei Bereichen des Monastischen und des Gelehrten, deren Verlauf im Einzelnen jedoch ebenso strittig war wie der Umgang mit ihr.

Es ist wichtig, diese in Verhandlung geratene Demarkationslinie im Auge zu behalten, weil in ihrer zunehmend allgemeinen polemischen Aufladung eines der Kernmomente der „monastischen Aufklärung“ während der folgenden Jahrzehnte liegen sollte38. In dem hier vorgestellten Zeitraum sind manche späteren Verschärfungen noch nicht erkennbar, und insbesondere stehen die Sinnhaftigkeit und der religiöse und gesellschaftliche Wert des klösterlichen Lebens für die Beteiligten nicht grundsätzlich in Frage. Dennoch zeigt sich in zunehmender Intensität eine „dissidente“ Selbstwahrnehmung der Brüder Pez als Gelehrte, die unter den Lasten der klösterlichen Pflichten zu leiden haben39. Entsprechende Äußerungen treten einmal in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Konflikt von 1718 auf (Nr. 976), aber auch bereits mehrere Jahre zuvor. Hieronymus ist hier, sogar gegenüber dem Jesuiten Anton Steyerer, um nichts weniger deutlich (Nr. 539, 725) als Bernhard (Nr. 885)40. Dass protestantische Rezipienten derartige Äußerungen leicht mit den gängigen Topoi der Mönchsschelte in Verbindung brachten (Nr. 959) und sie in Einzelfällen zudem über andere Medien, etwa Zeitschriften, weiter verbreiteten41, lag im Grunde auf der Hand. Daneben existierte allerdings auch eine gegenteilige Außenwahrnehmung, die das monastische Leben mit Versorgungssicherheit und Komfort assoziierte und damit als geradezu ideale Voraussetzung für die gelehrte

36 HANTSCH, Pez und Dietmayr; WALLNIG, Konflikt.

37 PE 5 194.

38 Gedacht ist hier an erster Stelle daran, dass die Klosterdisziplin im Hinblick auf Lebensweise und Strafen in Diskussion geriet: vgl. FRIMMEL, Literarisches Leben; LEHNER, Enlightened Monks 27–154.

39 Die einschlägigen Briefstellen sind im Register I unter „Pez, Bernhard“ und „Pez, Hieronymus“ jeweils als Sublemma „Selbstwahrnehmung als Mönch“ angesetzt. Weiters vgl. STOCKINGER, Alltag 153f.

40 Grundsätzliche Klagen über die Arbeitsbedingungen im Kloster heben sich, vor allem wenn sie gegenüber Außenstehenden vorgebracht werden, deutlich ab von der nahezu ubiquitären Begründung konkreter Verzögerungen durch Arbeitsüberlastung. Auch dabei kann freilich mitunter ein hohes Frustrationsniveau zu erkennen gegeben werden, etwa von Joachim Edlinger: Nr. 843.

41 Vgl. Anhang III.1; sowie PEPER, Österreichische Gelehrtenwelt 18f.

Betätigung ansah (Nr. 981); gegen eine solche Sicht verwahrte sich Bernhard mit Nachdruck (Nr. 976). Gegenüber der während dieser Jahre häufig thematisierten Frage des Zeitmangels treten andere Reibungsflächen zwischen Klosterleben und gelehrter Aktivität in den Hintergrund, sind aber wohl dennoch mitzudenken, etwa das Bibliotheksbudget42 oder die Bauarbeiten im Stift Melk43.

Ungeachtet der sich verstärkenden Ambivalenzen in ihrer Selbstsicht auf die klösterliche Existenz ist davon auszugehen, dass das Bestreben der Brüder Pez sich weiterhin im Grunde darauf richtete, Gelehrsamkeit für die Zwecke monastischen Lebens fruchtbar zu machen, durchaus im Sinne Mabillons, wie dies Bernhard etwa in der Vorrede seiner „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“ beschwor (Abschnitt I.4). Von einer Auffassung wie der des Kartäusers Wydemann, die dem monastischen Weg des Einzelnen und seiner Gemeinschaft eine unzweifelhaft höhere Priorität gegenüber dem gelehrten Wertekosmos einräumte, unterschied sich der Zugang der Brüder nur graduell. Sinnfällig ist für die Haltung des Kartäusers jene Gelegenheit, bei der er eine Hymnenhandschrift von Bernhard zurückforderte, weil er sie für seine private Andacht brauchte (Nr. 973). Das Verhältnis von Mönchtum und Gelehrsamkeit ist im Falle der Brüder Pez zwar von unübersehbaren Spannungen betroffen, zugleich aber von einem beständigen Willen zur Synthese getragen, und die von ihnen erbrachten Leistungen auf dem letzteren Gebiet sind – auch – als Gelingen dieser Synthese zu verstehen. Deshalb war es unabdingbar, das monastische Fundament ihrer gelehrten Tätigkeit eingehend darzustellen, bevor im Folgenden diese unter verschiedenen Aspekten skizziert wird.

I.2 Reisen und persönliche Kontakte der Jahre 1716–1718

Zwei Erwägungen legen nahe, der Schilderung der monastischen Konflikte die Darstellung der Reisen folgen zu lassen und sie mit jener der persönlichen Kontakte zu verbinden. Zum einen ist die Reisetätigkeit gelehrter Mönche einer der Berührungs- und Reibungspunkte zwischen ihrer regulierten Lebensweise44 und der kommunikativen Praxis der res publica literaria. Zum anderen erscheint es für das Verständnis der im folgenden Abschnitt zu schildernden Entwicklung der Kor- respondenz wichtig, auch jene Bedingungen abzustecken, unter denen persönliche

42 Vgl. STOCKINGER, Klosterbibliothekar 213f. Im Konflikt von 1723 sollte dieser Streitpunkt in Gestalt der Forderung Bernhards nach einem fixen jährlichen Bücheretat von mindestens 500 fl. von neuem auftauchen: HANTSCH, Pez und Dietmayr 132.

43 Selbst die offenbar 1716 durchgeführte Verlagerung der gesamten Bibliothek schlägt sich in der erhaltenen Korrespondenz nur einmal nieder: Nr. 663. Zu den sonstigen Arbeiten der Jahre 1716 bis 1718, von denen manche die Lebensumstände des Konvents unmittelbar betroffen haben müssen, vgl. ELLEGAST, Kaisertrakt 37–42, 53–56; TIETZE et al., Denkmale Melk 195–199.

44 Die Frage der Bewegung der Mönche außerhalb des Klosters ist stets im Zusammenhang mit den Kapiteln 66 und 67 der Benediktsregel zu sehen; sie war auch in späteren Normen, etwa in den Statuten der Österreichischen Kongregation, Gegenstand umfangreicher Vorschriften: vgl. LEHNER, Enlightened Monks 47–52; STOCKINGER, Stabilitas loci; WALLNIGWINKLER, Peregrinatio 162f. Ein langes Kapitel über die itinera literaria benediktinischer Gelehrter findet sich bei ZIEGELBAUERLEGIPONT, Historia rei literariae 1 406–452. Hier wird das Reisen zwar nicht explizit problematisiert, die Hervorhebung einer bis in die Frühzeit des Ordens reichenden Tradition solcher itinera erfolgt aber wohl nicht zuletzt in rechtfertigender Intention.

Interaktion zwischen den Brüdern Pez und anderen Gelehrten stattfinden konnte45. Deswegen bietet sich an, die Schilderung der Bibliotheksreisen der Brüder mit den Besuchen anderer Gelehrter in Melk zusammenzubringen, die in den Prioratsephe- meriden und den Aufzeichnungen von Hieronymus Pez dokumentiert sind und ihrerseits oft in enger Beziehung zu Korrespondenzen stehen.

Bereits in den Jahren 1712, 1713, 1714 und 1715 hatten die Brüder im Zuge teils recht ausgedehnter Reisen die Bibliotheken anderer Klöster und Stifte in Ober- und Niederösterreich besuchen können46. Diese Folge setzte sich ungebrochen fort, denn am 7. Juli 171647 brachen Bernhard und Hieronymus zu einer Tour durch niederösterreichische Ordenshäuser auf, in deren Verlauf sie in den Bibliotheken von Klosterneuburg, Mauerbach, Heiligenkreuz, Kleinmariazell, Lilienfeld, St. Pöl- ten, Göttweig, Zwettl, Altenburg und Pernegg arbeiten konnten48.

Die große Klosterreise des Sommers 1717 nach Bayern und Schwaben darf als einer der Höhepunkte in Leben und Tätigkeit der Brüder Pez angesehen werden, und zwar keineswegs nur deshalb, weil sie ihre Kenntnisse über Handschriftenbe- stände in einem Maße vermehren konnten, von dem sie danach viele Jahre zehrten. Davon abgesehen wird nämlich an zahlreichen Stellen deutlich, dass es eben die persönliche Begegnung war, die das gemeinsame gelehrte Anliegen so zu vertiefen verhalf, dass sich darin der Aspekt der persönlichen Verbundenheit und Solidarität merklich verstärkte. Bernhards Enzykliken, die daran anknüpfenden Briefwechsel, nicht zuletzt die bei den süddeutschen Benediktinern fast überall mit Wohlgefallen aufgenommenen „Epistolae apologeticae“49 hatten vielerorts vorgebaut. Das erheb- liche Ausmaß, in dem dennoch gerade die Reise von 1717 zum Bekanntwerden der Brüder sowohl innerhalb ihres angestammten benediktinischen Bezugsrahmens als auch darüber hinaus beitrug, kann am besten durch die große Zahl an Gönnern, Helfern und Zuträgern ermessen werden, welche in der ausführlichen gedruckten Schilderung der Reise am Beginn des ersten Bandes des „Thesaurus anecdotorum“ genannt werden50. Diese mitunter überschwänglichen Dankbarkeitsbekundungen stellen die von Bernhard so oft beschworene Gegenleistung für materielle und ideelle Unterstützung seines Projekts im begrifflichen Bezugsrahmen der gloria ordinis dar. Im 1716 erschienenen zweiten Teil von Johann Gottlieb Krauses Zeitschrift „Umständliche bücher-historie“ hatte Bernhard einige Ergebnisse seiner Reise von 1715 in Form von Handschriftenlisten einrücken lassen. Das Echo in Mittel- und

45 Zum mündlichen Aspekt der Gelehrtenkultur vgl. FUMAROLI, Conversation; WAQUET, Parler comme un livre. Im weiteren Sinne relevant ist die gesamte umfangreiche Literatur zu Geselligkeit, Freundschaft und Konflikt unter Gelehrten.

46 WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 5.

47 PE 5 151.

48 Ausführlich geschildert beiPEZ, Thesaurus 1 ii f.; vgl. KATSCHTHALER, Briefnachlass 41. Ein von Katschthaler behaupteter Besuch in Aggsbach ist für diesen Zeitpunkt nicht belegt. Möglicherweise stützt sich die Angabe auf das Vorhandensein von Notaten zur Aggsbacher Bibliothek im sogenannten „Itinerarium fratrum Peziorum“: StiB Melk, Cod. 1850, 36r–41v. Eine Erwähnung in einem Brief Leopold Wydemanns vom 25. August 1719 erlaubt allerdings, den Besuch in dieses Jahr zu datieren: III, 74r–75v.

49 vgl. WALLNIG, Epistolae; WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 14.

50 PEZ, Thesaurus 1 iii–liii.

Norddeutschland war groß (Abschnitt I.3), und zahlreiche Stellen der Korrespondenz belegen, dass Bernhard nach der Rückkehr von der Reise 1717 eine ähnliche Publikation der Reiseergebnisse im Sinn hatte. Wenn er in dieser Phase von einem Itinerarium sprach51, hatte er eine wohl separate52 Veröffentlichung eines Reiseberichtes mit Beschreibung der unterwegs vorgefundenen Handschriften vor Augen, wie dies Jean Mabillon, Bernard de Montfaucon sowie jüngst Edmond Martène zuvor getan hatten53. Möglicherweise ließ er den Text oder Teile desselben auch in ungedruckter Form vorab zirkulieren (Nr. 867). Es ist plausibel anzunehmen, dass dieser Plan letztlich in Form des ersten Teils der „Dissertatio isagogica“ im ersten Band des „Thesaurus“ realisiert wurde. Freilich ist nicht klar, wann Bernhard die 1721 publizierte Textfassung schrieb; es ist davon auszugehen, dass Textteile, die im Zusammenhang der Reise und unmittelbar danach entstanden sein dürften, bis in das Jahr 1719 hinein oder auch noch darüber hinaus ergänzt und möglicherweise überarbeitet wurden.

Jener Codex der Stiftsbibliothek Melk, für den sich in der Forschungsliteratur die Bezeichnung „Itinerarium fratrum Peziorum“ eingebürgert hat54, enthält hingegen die während dieser und anderer Reisen entstandenen handschriftlichen Auf- zeichnungen der Brüder zu den Beständen der besuchten Bibliotheken und ist somit kein „Itinerar“ im eigentlichen Sinne. Wie die anderen Handschriftenbände aus dem Pez-Nachlass dürfte er erst im 19. Jahrhundert aus losen Blättern gebunden worden sein55. Bernhard Pez erwähnt diese Materialsammlung als excerpta et nota explizit in einem Schreiben (Nr. 796).

Der Verlauf der Reise von Anfang Juni bis Ende September durch Nieder- und Oberösterreich, Salzburg, Bayern, Schwaben und zurück ist bereits mehrfach und im Detail nachgezeichnet worden56. Als Anhang III.2 werden im vorliegenden Band zu den einzelnen Aufenthalten die einschlägigen Stellen aus dem „Thesaurus“, dem „Itinerarium“, den Prioratsephemeriden sowie den Berichten der Brüder an Prior Larson (Nr. 796, 798, 804, 817) in einer Übersichtstabelle zusammengeführt57. Diese Berichte, deren regelmäßige Einsendung Abt Dietmayr vorgeschrieben hatte,

51 Vgl. Register I unter „Pez, Bernhard – Bibliotheksreise 1717 – Reisebericht“.

52 Ganz eindeutig scheint er dies nicht ausgesprochen zu haben; wenigstens ein Korrespondent fragte in diesem Punkt sogar nach: Nr. 900.

53 Zur Vorbildhaftigkeit der maurinischen Werke, aber auch der Reisebeschreibung Bernhards im „Thesaurus“ für das im deutschsprachigen Raum gerade erst entstehende Genre des gelehrten Reiseberichts vgl. BECKER, Bibliotheksreisen col. 1365.

54 StiB Melk, Cod. 1850; vgl. GLASSNER, Handschriften 128–130. Wie der übrige Nachlass der Brüder Pez ist auch Cod. 1850 im Rahmen des „Digitalisierten Nachlasses der Brüder Pez“ nunmehr online zugänglich. Zur Erarbeitung und Gestaltung dieser Datenbank vgl. RABL, Nachlass. Zum Verhältnis von Datenbank und Korrespondenzedition vgl. MAYER, How to Edit.

55 vgl. GLASSNER, Handschriften 8.

56 Sehr genau und unter Heranziehung verschiedener Quellen: HAMMERMAYER, Maurinismus 398–403, 427. Verhältnismäßig knapp hingegen KATSCHTHALER, Briefnachlass 42f. Eine ausführliche bibliographische Dokumentation bietet GLASSNER, Verzeichnis 199.

57 Diese Tabelle soll vor allem ein chronologisches Grundgerüst zu der Reise liefern. Die angegebenen Daten richten sich in erster Linie nach dem „Thesaurus“, einzelne offensichtliche Druckfehler desselben werden allerdings stillschweigend verbessert.

sind als Rechtfertigung der erzielten Forschungsfortschritte, und vermutlich auch des sonstigen Verhaltens unterwegs, gegenüber Prior und Abt gedacht. Sie bieten einen guten Einblick in die Wahrnehmung, die Bernhard von den Ereignissen des Sommers 1717 hatte (Abschnitt I.5), ebenso in sein Verhältnis zu Larson und zu einigen weiteren Mitbrüdern (Abschnitt I.1).

Hervorzuheben ist, dass Abt Dietmayr den Brüdern pro viatico 24 fl. mit auf den Weg gab58 und ihnen für die erste Etappe auch eine Kutsche zur Verfügung stellte59. Einige Teilstrecken der Reise legten Bernhard und Hieronymus zu Wasser zurück, so etwa auf dem Attersee und Mondsee (Nr. 796) oder bei der Rückreise ab Donauwörth auf der Donau. Auf der Reise selbst konnten sie häufig auf Wagen ihrer Gastgeber zurückgreifen. Wie sich die geplante zur tatsächlichen Dauer der Abwesenheit von Melk verhielt, ist nicht ganz klar60; jedenfalls wurden nicht alle beabsichtigten Destinationen erreicht. Von Augsburg hätte es noch zum Bodensee weitergehen sollen, die Brüder entschieden sich aber zur Umkehr, teils weil ihre Geldmittel zur Neige gingen, vor allem aber aus Gesundheitsgründen (Nr. 817, 847, 890).

Bereits im Vorfeld der Reise lässt sich in der Korrespondenz die Anbahnung einzelner Aufenthalte und die gezielte Einholung von Informationen ausmachen (Nr. 747, 779, 803). Die Sommermonate selbst bringen naheliegenderweise eine Unterbrechung der meisten Briefwechsel; in der Zeit nach der Reise schlagen sich deren Nachwirkungen in der erhaltenen Korrespondenz in vielfältiger Weise nieder. Dazu zählt, wie bereits angesprochen, in etlichen Fällen eine größere Vertrautheit nach dem persönlichen Kontakt: Alphons Hueber etwa spricht Bernhard erstmals mit frater an (Nr. 819), während in den Korrespondenzen mit Andechs (Nr. 812), Benediktbeuern (Nr. 835) oder Mondsee (Nr. 859) Mitglieder der dortigen Konvente in erhöhter Zahl ihre Grüße übermitteln lassen, einzelne auch selbst als Brief- schreiber auftreten, namentlich Roman Krinner und Gregor Zödl.

Mehr oder weniger genaue Berichte über eingesehene Handschriften dominieren Bernhards Briefe aus den folgenden Monaten und spiegeln, besonders in den Korrespondenzen mit Eckhart und Martène, die konzeptionellen Veränderungen seines Forschungsvorhabens nach der Reise (Abschnitt I.4). Wesentlich in diesem Zusammenhang ist auch das wachsende Interesse der Brüder an den Urkunden und Kopialbüchern der Klöster. Diejenigen Besitzer, die Zugang zu diesen eigentlich arkanen Materialien gewährt haben, also etwa St. Peter, Benediktbeuern oder das Freisinger Domkapitel, werden besonders hervorgehoben und gewürdigt (Nr. 796, 804, 828).

Ein weiteres in der Korrespondenz zur Reise häufig angesprochenes Thema ist das „Iter Germanicum“ Jean Mabillons – als Vorbild und Informationsquelle für die Suche nach Handschriften, aber auch unter dem Gesichtspunkt seiner erkannten

58 PE 5 161. Die Zahl ist in der Vorlage aus 22 korrigiert.

59 PEZ, Thesaurus 1 iii.

60 Ein Korrespondent gratulierte bereits Mitte August verfrüht zur Rückkehr nach Melk: Nr. 811. Ob dies einer von Bernhard mitgeteilten allzu optimistischen Zeitplanung entsprach oder auf bloßer Vermutung beruhte, ist nicht festzustellen.

Fehler und Auslassungen. Mehrfach zieht Bernhard Vergleiche zwischen Mabillons bayerischer Reise und der seinigen, die zum eigenen Vorteil ausfallen (Nr. 804, 828, 836)61. Die Versäumnisse des illustren Vorgängers werden dabei freilich meist mit den schwierigen Rahmenbedingungen erklärt, die Mabillon 1683 in Bayern wegen des gegen ihn gehegten Misstrauens für seine Forschungen vorgefunden hatte62.

Der handschriftenkundliche Ertrag der Reise von 1717 darf auch aus heutiger Sicht als gewaltig gelten; seine systematische Aufarbeitung wird durch den Umfang und die oftmalige paläographische Schwierigkeit der erhaltenen Notizen erschwert. Die digitale Bereitstellung der Handschrift im Internet ermöglicht aber zumindest den gezielten Zugriff auf einzelne Passagen. Bernhard und Hieronymus Pez waren mit der Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse, insbesondere mit der editorischen Bearbeitung der aufgefundenen Handschriften, die entweder zu ihnen nach Melk geschickt oder von lokalen Beiträgern abgeschrieben wurden, noch für den Rest des Erfassungszeitraums des vorliegenden Bandes und darüber hinaus befasst. Als geistlicher Erfolg der Reise lässt sich daneben eine in ihrem Gefolge von den Benediktinerinnen von Holzen angeregte Gebetsverbrüderung mit Melk verbuchen (Nr. 921), die der Melker Konvent im März 1718 billigte.

Wie zuvor angemerkt (Abschnitt I.1), gab es schon nach der Reise von 1716 (Nr. 694) und verstärkt nach jener von 1717 auch unvorteilhafte bis übelmeinende Reaktionen – bemerkenswerterweise gegenüber beiden Brüdern (Nr. 900); Gerhard Cornelius van den Driesch und Engelbert Kirchstetter berichteten, dass man sich in Wien über das vermeintliche Missverhältnis zwischen der großen Zahl der von Bernhard nach eigenen Angaben bearbeiteten Handschriften und der ihm dafür zur Verfügung gestandenen Zeit lustig machte (Nr. 867, 883). In dieselbe Zeit, den Winter und das Frühjahr 1718, fiel auch der Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit Gentilotti (Abschnitt I.5).

Die nächste Bibliotheksreise war diejenige, die Bernhard zwischen 26. April und 17. Mai 1718 nach Wien unternahm (Abschnitt I.1)63. Neben den von ihm geführten Verhandlungen zur Errichtung einer benediktinischen Gelehrtengemein- schaft hatte Bernhard Gelegenheit, einige Bibliotheken zu besuchen, darunter die privaten Sammlungen der von ihm aufgesuchten Würdenträger und daneben die Bibliothek des Dominikanerklosters, wo ihm, wie Hieronymus berichtet, dieselbe deutsch abgefasste Chronik von Österreich auffiel, die den Brüdern aus Dürnstein bereits bekannt war64. Teile des Inhalts der Handschrift wurden von Philibert Hueber abgeschrieben und an Hieronymus übermittelt. Bernhard besuchte weiters die

61 Weiters vgl. PEZ, Thesaurus 1 v, xxxviii; 3 x–xii; PEZ, Scriptores rerum Austriacarum 1 17f. Zu Mabillons Reise in die Schweiz und nach Süddeutschland vgl. BAUCKNER, Mabillons Reise; HEER, Mabillon 98–108; LECLERCQ, Mabillon 1 200–233.

62 Ein Umstand, den sichtlich auch die Mauriner selbst nicht vergessen hatten: vgl. Nr. 154.

63 Als solche ist sie ausschließlich dokumentiert in: StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v. Das Folgende nach dieser Quelle.

64 Gemeint ist sehr wahrscheinlich die „Österreichische Chronik von den 95 Herrschaften“, von deren heute verlorener Dürnsteiner Überlieferung die Brüder 1714 Kenntnis erlangt hatten: Nr. 363. Die Handschrift der Wiener Dominikaner ist hingegen erhalten: ÖNB, Cod. 12691; vgl. SEEMÜLLER, Einleitung XLIV– XLVII, CCCII.

Bibliothek des Bischofs von Wien, wo er ein „Chronicon Claustro-Neoburgense“ einsehen konnte; auch dieses wurde Hieronymus offenbar zur Verfügung gestellt, der einige Monate später bereits daraus zitierte (Nr. 972).

Wie weit fortgeschritten die von Bernhard gegenüber Augustin Calmet 1716 und 1717 geäußerten Pläne einer Frankreichreise (Nr. 708, 762) tatsächlich waren, lässt sich nicht erhärten; vor dem Hintergrund der stockenden Kommunikation mit St.-Germain-des-Prés in dieser Zeit (Abschnitt I.3) kann aber an der Existenz konkreter Abmachungen gezweifelt werden. Um einiges realistischer waren dagegen die Absichten einer Reise durch Süddeutschland, Österreich und Italien gemeinsam mit Johann Georg Eckhart (Nr. 981, 1003). Die näheren Umstände des Scheiterns dieser Pläne werden im Lichte der späteren Korrespondenz noch zu erhellen sein, doch spielten die Schwierigkeiten der beiden Beteiligten in ihrem jeweiligen Umfeld gewiss keine unbedeutende Rolle – Eckharts Stellung am hannoverschen Hof war um 1720 kaum besser als jene Bernhards gegenüber seinem Abt.

Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, wie sehr mit der zunehmenden Bekanntheit und – positiven wie negativen – Profilierung beider Brüder Pez auch die Aufenthalte von Gästen in Melk in einen Zusammenhang mit den geschilderten Vorgängen und der Korrespondenz zu bringen sind. Hieronymus notiert in seinen Aufzeichnungen eine Kapitelpredigt durch den Kremser Jesuiten Georg Keller am 27. Oktober 171665. Der Gast lobte Bernhard und Hieronymus in versöhnlicher Weise; die annähernd gleichzeitige Neuauflage der „Cura salutis“ mag Bernhard gerade in Verbindung damit umso mehr verärgert haben (Nr. 712). Der Aufent- halt des Tegernseer Abtes Petrus von Guetrather in Melk am 27. Oktober 171666 fand seinen Niederschlag im Briefwechsel mit Alphons Hueber (Nr. 655, 660, 688), weil er zur Übermittlung einer Sendung handschriftlichen Materials an Bernhard genutzt wurde. In den November desselben Jahres fiel die definitive Amtsenthebung von Anselm Schramb als Studiendirektor für die Melker Fratres in Wien, der ein Konflikt mit Berthold Dietmayr um die Publikation von Schrambs „Antilogia“ vorangegangen war67. Ein nicht präzise zu datierender Besuch des Gaminger Priors Joseph Kristelli in Melk führte im Jahr 1717 zur Anbahnung des in der Folge sehr wichtigen Kontaktes mit Leopold Wydemann68. In Zusammenhang damit stehen könnte auch die Erweiterung der traditionell nach Ybbs führenden Predigtreise zum 1. August69 um einen Predigtaufenthalt in Scheibbs ab dem Jahr 171770; ab 1718 verband sich dies mit Besuchen von Melkern bei Wydemann in Gaming (Nr. 973). Am 15. Mai 1718 las der Gaminger Prior in Melk die Messe71.

65 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 28r. Zu Keller vgl. LUKÁCS, Catalogus 2 703f.; STÖGER, Scriptores 178.

66 PE 5 153.

67 PE 5 151, 154, 164; vgl. Nr. 401; sowie FISKA, Schramb 233.

68 PEZ, Thesaurus 1 liv.

69 WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit 115. Zu berichtigen ist, dass dort vom Portiuncula-Fest fälschlich als „Fest der Hl. Portiuncula“ die Rede ist.

70 PE 5 162, 186.

71 PE 5 176.

Nicht ganz friktionsfrei verlief der Besuch zweier Melker in Seitenstetten im Oktober 171772 aus der Sicht von Joachim Edlinger, der von Vitalis Waldmüller freundlich behandelt, von Karlmann Hueber aber demonstrativ ignoriert wurde (Nr. 841). Dass beide zu den Mitarbeitern Bernhards zählten, verleiht der Situation eine gewisse Kuriosität, die Hintergründe lassen sich jedoch nicht weiter erhellen. Ebenfalls nicht sicher zu sagen ist, ob eine Predigt eines ungenannten pater Servita ex Schönbühel am 21. März 171873 mit der Verbindung der Brüder Pez zu ihrem dort lebenden Beiträger und späteren Korrespondenten Felix Wirtenberger einen Zusammenhang hat. Mit dem nicht fern liegenden Schönbühel war Melk durch häufige gegenseitige Besuche verknüpft74. Jedenfalls muss Wirtenberger schon in diesem Jahr mit Bernhard kooperiert haben75.

Breiten Raum widmet besonders Hieronymus in seinen Aufzeichnungen dem Brand von Göttweig am 17. Juni 171876. Eine Konsequenz dieses Unglücks war die Aufnahme der zwei Göttweiger Mönche Moritz Höppel und Franz Spindler als Gäste in Melk am 29. August77; über das gleichzeitige Unterkommen anderer Göttweiger Konventualen in Seitenstetten erkundigte sich Hieronymus bei Joachim Edlinger (Nr. 994, 1001).

Am 27. September 1718, also nicht lange nach dem Höhepunkt des internen Konflikts im August (Abschnitt I.1), besuchte der Wiener Bischof Sigismund Graf Kollonitsch das Stift Melk78. Begleitet wurde er von einem weiteren von Bernhards Wiener Gesprächspartnern des vorangegangenen April, dem kaiserlichen Archivar Johann Christoph Grafen Oedt79, ebenso von dem Propst von St. Dorothea. Die Pröpste von St. Pölten und Herzogenburg kamen am Folgetag hinzu. Oedt begab sich, wie Hieronymus berichtet, für mehrere Stunden zu den Brüdern Pez in die Bibliothek und ließ sich Melker Handschriften zeigen80. Wenig später, zum Fest des hl. Koloman am 13. Oktober81, waren wiederum mehrere Prälaten und etwa

72 PE 5 165.

73 PE 5 173. Zur Gepflogenheit der wechselseitigen Gastpredigten vgl. PENZ, Jesuitisieren 154f.; SCHROTT, Leichenpredigten 50–52.

74 STOCKINGER, Stabilitas loci 259.

75 Spätestens im November 1718 muss er die Druckvorlage für den „Liber adversus duas haereses“ Gerhochs von Reichersberg geliefert haben, als dessen Bearbeiter er ausgewiesen ist: PEZ, Thesaurus 1/2 col. 281f. Am 1. Dezember 1718 schrieb Pez, dass diese Abschrift bereits nach Augsburg zur Drucklegung versendet worden war: Nr. 1019. Zu Wirtenberger vgl. RABL, Briefe 333, 358. Er ist dort irrig als „Felix Puell“ bezeichnet, was auf einer Verlesung der abgekürzten Bezeichnung Puellensis, „von Schönbühel“, beruht.

76 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 33r–v, 36r; vgl. PE 5 179.

77 PE 5 190f. Zu Höppel vgl. Verzeichnis der Pez-Korrespondenten; zu Spindler vgl. LASHOFER, Profeßbuch Göttweig 209f.

78 PE 5 193; vgl. FREEMAN, Practice of Music 316. Die dort hergestellte Verbindung zu einer Aufführung des Melker Schultheaters, die bereits am 18. September stattgefunden hatte, ist nicht nachzuvollziehen.

79 Zu ihm vgl. ANTONIUS, Handschriftenabteilung 271–273; BERGMANN, Historia metallica 158f.; BITTNER, Einleitung 15*, 17*, 65* f., 92*; HOCHEDLINGER, Archivgeschichte 33f., 50; KUBISKA-SCHARLPÖLZL, Karrieren 433; WEIß VON STARKENFELSKIRNBAUER VON ERZSTÄTT, Wappenbuch Oberoesterreichischer Adel 227.

80 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 37v.

81 Zur besonderen Bedeutung dieses Heiligen für Melk vgl. NIEDERKORN-BRUCK, Koloman; NIEDERKORN-BRUCK, Tradition und Wandel.

einhundert Gäste in Melk versammelt, und auch bei dieser Gelegenheit hielt ein Jesuit, Thomas Winter82, die Predigt, wobei er von den Benediktinern als damahl pietate et scientiis florentissimus ordo sprach.

Bemerkenswert ist schließlich der ebenfalls nur bei Hieronymus verzeichnete Besuch von Gerhard Cornelius van den Driesch im Oktober 171883. Er kam, so Hieronymus, nur aus Gründen der Freundschaft, um Bernhard zu sehen84. Diese Formulierung sollte möglicherweise verschleiern, dass es dabei auch um das gefährdete Vorhaben einer Benediktinerakademie sowie um eine Vermittlung Van den Drieschs zwischen Bartenstein und Bernhard gegangen sein dürfte. Solches scheint auch Prior Larson vermutet zu haben, der Van den Driesch am zweiten Tag seines Aufenthalts nicht mehr im Refektorium speisen ließ.

Nur in der Korrespondenz dokumentiert sind außerdem die Melk-Aufenthalte des hohen kaiserlichen Diplomaten Johann Christoph Pentenrieder im Oktober 1716 (Nr. 679) sowie des jungen Luxemburger Gelehrten und später langjährigen Pez-Korrespondenten Johann Friedrich Schannat ein knappes Jahr später (Nr. 821, 823). Hingegen unterließ der Bollandist Jean-Baptiste Du Sollier bei seiner Rückfahrt aus Wien in die Niederlande den von Bernhard erhofften Zwischenhalt in Melk (Nr. 490, 539), und auch der von Bartenstein angekündigte Johann Baptist Mutzenbecher stellte sich dort nicht ein (Nr. 690, 713).

Eine weitere große Zusammenkunft von Prälaten in Melk, deren ranghöchster der Salzburger Erzbischof Franz Anton Graf Harrach war, beendete schließlich das Jahr 171885, in dessen Verlauf deutlich geworden war, dass die Überlagerung der ordensund kircheninternen Kommunikation des Klosters mit der gelehrten Netzwerkbildung der Brüder Pez nicht – oder nicht mehr – nur Synergien produzierte, sondern mitunter auch zu erheblichen Interferenzen führen konnte. Dieser Hintergrund ist stets mitzudenken, wenn im folgenden Abschnitt die Entwicklung der eigentlichen gelehrten Korrespondenz im Betrachtungszeitraum skizziert wird.

I.3 Die Entwicklung der Korrespondenz 1716–1718

Bereits im Übergang zum Jahr 1716 zeigen sich an der Pez-Korrespondenz in mehrfacher Hinsicht die Anfänge substantieller Verschiebungen. Diese lassen sich kurz charakterisieren als letzter breiter Austausch mit süddeutschen und österreichischen Klöstern, als Ringen um die Etablierung oder – im Falle Frankreichs – um die Aufrechthaltung benediktinischer Kontakte auf europäischer Ebene sowie

82 LUKÁCS, Catalogus 3 1855; SOMMERVOGEL, Bibliothèque 8 col. 1166; STÖGER, Scriptores 398.

83 Das Folgende nach StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 37v. Wenn von einer chronologischen Reihenfolge der Einträge in Hieronymus’ Diarium ausgegangen werden kann, erfolgte der Besuch zwischen dem 15. und dem 24. Oktober. Jedenfalls ist er nach dem letzten aus diesem Zeitraum erhaltenen Brief Van den Drieschs vom 8. Oktober anzusetzen: Nr. 1000.

84 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 37v: Venit autem huc unice amicitiae causa et invisendi patrem Bernardum.

85 PE 5 195. Harrach hatte sich Bernhard und Hieronymus im Vorjahr bei ihrem Aufenthalt in Salzburg im Rahmen der großen Bibliotheksreise freundlich gezeigt: Nr. 796. – Zur Stellung des Melker Abtes innerhalb des niederösterreichischen Prälatenstands vgl. STRADAL, Prälaten 73.

als Erweiterung und Intensivierung der Beziehungen in protestantische Reichsteile, insbesondere nach Leipzig.

Die Versendung der dritten – wiederum gedruckten86 – Enzyklik Bernhards zugunsten seiner „Bibliotheca Benedictina“ hatte vor dem Jahreswechsel eingesetzt (Nr. 472, 477), intensivierte sich aber merklich im Jahr 1716. Insgesamt dreimal ist der vollständige Text abschriftlich erhalten (Nr. 477, 493, 570), hinzu kommen ein längeres Fragment (Nr. 514) und eine auszugsweise Überlieferung im Druck (Nr. 714). Ein großer Teil der nun einsetzenden Korrespondenzen geht explizit auf dieses Schreiben zurück, das im Vergleich zur ersten und zweiten Enzyklik viel eingehendere programmatische Angaben zur „Bibliotheca Benedictina“ in der Form eines „Conspectus“ derselben enthielt; auch die Anweisungen zur Ausführung der gewünschten Mitarbeit hatte Bernhard nochmals ausgebaut und verfeinert, indem er etwa Anweisungen zur Katalogisierung und Warnungen vor verbreiteten Irrtümern aufnahm.

Weiterentwickelt hatten sich in mancher Hinsicht auch die Strategien zur Verbreitung des Rundschreibens. Eher in den Hintergrund trat das bei den ersten zwei Enzykliken nicht sehr erfolgreiche Bestreben, die regionalen Kongregationen des Benediktinerordens zur Unterstützung des Vorhabens zu bewegen87. Dass Bernhard weiterhin versuchte, möglichst viele Klöster auch in großer Entfernung direkt zu kontaktieren, zeigt eine von ihm angelegte, nach Ländern gegliederte alphabetische Liste von Ordenshäusern, die zum Teil auf der Auswertung maurinischer und bollandistischer Werke beruhte; zu vielen, aber keineswegs allen Einträgen wurde in der Folge das Datum eines Anschreibens vermerkt (Abschnitt III)88. Auch diese Vorgehensweise scheint freilich nur wenig Rücklauf erreicht zu haben. Hingegen zeigte sich noch mehr als in früheren Jahren, dass Einzelpersonen, zumeist durch eigene gelehrte Interessen motiviert, die wichtigsten Beiträge zur Weitergabe der Enzyklik und zur Sammlung, teils sogar zur hartnäckigen Eintreibung von Beiträ- gen aus ihrer Umgebung leisteten89, wie im Folgenden näher geschildert wird.

Das Verteilungs- und Korrespondentennetz in Schwaben, Bayern, Salzburg und Österreich war zu Ende des Jahres 1715 bereits etabliert und verhältnismäßig dicht. Bernhard und sein Vorhaben hatten eine gewisse Bekanntheit erlangt90, und man bemühte sich – mit mehr oder weniger zufriedenstellenden Resultaten – darum, seinen Wünschen zu entsprechen. Zu unterscheiden sind hier Korrespondenzen, die bereits seit mehreren Jahren bestanden, von solchen, die erst durch die dritte

86 Dies bestätigen briefliche Aussagen von Alphons Hueber und Casimir Freschot: Nr. 687, 737; ebenso die Vorbemerkung von Wolfgang Dullinger zu der Abschrift, durch die Nr. 493 überliefert ist.

87 Am deutlichsten erkennbar wird eine solche Absicht noch im Hinblick auf die Bursfelder Kongregation: Nr. 603. Auch in diesem Fall ist aber kein Erfolg feststellbar.

88 StiA Melk, Karton 85 Varia 24, Fasz. 2, Nr. 15.

85 Zur hierarchischen Organisation gelehrter Korrespondenznetze mit unterschiedlichen Rollen für einzelne Beteiligte und insbesondere zur Bedeutung von Vermittlern und Verteilern vgl. BERKVENS-STEVELINCKBOTS, Introduction; BOSCANI LEONI, Centri e periferie; STUIBER, Zwischen Rom und dem Erdkreis 228–331.

90 Auch in diesem Bereich war sie allerdings keineswegs flächendeckend. Karl Meichelbeck musste etwa 1716 erfahren, dass Bernhards Anliegen in der Niederschwäbischen Kongregation noch unbekannt sei: Nr. 663.

Enzyklik in Gang gebracht wurden. Bei jenen zeigt sich in manchen Fällen die Konsolidierung eines bereits intensiven Austausches (Alphons Hueber91), in anderen eine wenig inhaltsreiche Fortsetzung, die in ein Auslaufen des Briefwechsels mündet (Benedikt Cherle, Felix Egger, Aemilian Reichardt). Für Wolfgang Dullinger in Rott am Inn ging von der Verlesung der „Epistolae apologeticae“ an der Konvents- mensa der Anstoß aus, seinen bereits aufgrund einer früheren Enzyklik gefassten Vorsatz zur Mitarbeit endlich in die Tat umzusetzen (Nr. 501).

Von den neuen Kontakten entwickelten einige den Charakter eines intensiven und persönlichen Austauschs. Dieser konnte die fachlich fundierte Diskussion breit gefächerter Themen umfassen (Karl Meichelbeck92), vorrangig der Sammlung von Beiträgen zur „Bibliotheca Benedictina“ dienen (Apronian Hueber93) oder auch im Zeichen eigener Forschungsanliegen des Briefpartners stehen (Benedikt Friepeis). Bei etlichen anderen Korrespondenten beschränkte sich der Kontakt im Grunde auf die Erledigung des Anliegens der Enzyklik. Auf eine erste Übermittlung von Schriftsteller- und Handschriftenkatalogen (etwa von Friepeis, Dullinger, Placidus Böckhn94, Kaspar Erhardt, dessen Bruder Thomas Aquin Erhardt, Korbinian Junghans, Petrus Merschoff oder Hermann Sarstainer) reagierte Bernhard nahezu regelmäßig mit detaillierten Nachfragen, auf die zumindest in einigen Fällen bereitwillig eingegangen wurde. Nicht aus jedem Kloster kam freilich Substantielles; unbefriedigende Einsendungen und im Wesentlichen negative Antworten fehlten auch in dieser Phase nicht (Cölestin Hoffmann, Hermann Kammerlander).

Im Januar 1716 starb mit dem Mauriner René Massuet der bis dahin wichtigste Ansprechpartner von Bernhard Pez außerhalb des süddeutsch-österreichischen Raumes. Dass dies auch im Bewusstsein der Zeitgenossen ein signifikanter Verlust war, schlägt sich deutlich in der Korrespondenz nieder. Bernhards Versuche, die Kommunikation mit Massuets Kloster St.-Germain-des-Prés wieder in Gang zu bringen (Nr. 526, 645, 646), zeitigten zunächst ähnlich unzulängliche Resultate wie die direkte Versendung von rund siebzig Enzykliken zumeist an französische und belgische Klöster (Abschnitt III). Im Falle von St.-Germain scheint der Verlust einzelner Antwortschreiben auf dem Postweg die Verzögerung bewirkt zu haben, und mit Edmond Martène und François Le Texier führten ab der zweiten Jahres- hälfte 1716 gleich zwei Mauriner in der Nachfolge Massuets die Korrespondenz mit Bernhard fort. Le Texier, beauftragt mit der Fortsetzung der Ordensannalen, sammelte für Bernhard literargeschichtliche Einsendungen, wogegen sich Martène eingehende Berichtigungen zu Bernhards „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“ und die Kommentierung von dessen Quellenliste angelegen sein ließ (Abschnitt I.4). Dass Martènes eigenes laufendes Forschungsvorhaben, die Sammlung und Edition ungedruckter mittelalterlicher Texte insbesondere zur Geschichte des Mönchtums,

91 Angelagerte Korrespondenz: Roman Krinner. Mit 1718 bricht freilich Bernhards erhaltene Korrespondenz mit Hueber ab, was möglicherweise mit zunehmendem Widerstand des Tegernseer Abtes Petrus von Guet- rather gegen dessen Zuarbeit für die Brüder Pez zusammenhängt: Nr. 907.

92 Angelagerte Korrespondenz: Gregor Zödl.

93 Angelagerte Korrespondenz: Maurus Hummel.

94 Angelagerte Korrespondenz: Placidus Mayrhauser.

nahe mit jener Richtung verwandt war, in die Bernhard seine Arbeiten seit 1717 weiterentwickelte (Abschnitt I.4), eröffnete einerseits die Gelegenheit zu Anregung und Beratung durch den Mauriner, sorgte aber andererseits auch für eine latente Konkurrenz. Daneben kümmerte sich Martène auch wie früher Massuet um die Abwicklung von Buchkäufen.

Aus anderen französischen Klöstern gingen, teils über Le Texier und Martène, teils unmittelbar in Beantwortung erhaltener Enzykliken, einige wenige Schreiben ein, deren Informationsgehalt freilich von ähnlich heterogener Qualität war, wie Bernhard dies in seinem näheren Umfeld erlebte. Hervorzuheben sind darunter die umfangreichen, zum Teil offenbar aus mündlicher Überlieferung und aus eigener Bekanntschaft mit verschiedenen Maurinergelehrten geschöpften Einsendungen von Louis Pisant aus dem nordfranzösischen Kloster Corbie, daneben der ertragreiche, letztlich aber nicht sehr glücklich verlaufene Briefwechsel mit dem gelehrten Vannisten Augustin Calmet (Abschnitt II.1). Knapper und meist nur jeweils einmal schrieben die Mauriner Jacques Boyer, Gabriel de Lacodre, Jean-Baptiste Poncet und Louis Tasche sowie der Vannist Amand d’Auzécourt. Einen Sonderfall stellen die beiden Briefe des Mauriners Jean-Évangéliste Thiroux dar, der Bernhard seine Verteidigung der „Gallia Christiana“ zur Einrückung in eine Leipziger Zeitschrift anvertraute (Abschnitt I.5).

Neben dem Tod Massuets bedeutete auch der des Disentiner Abtes Adalbert Defuns im Jahre 1715 einen Rückschlag für Bernhards Korrespondenz, hier mit den Klöstern der Schweiz. War der diesbezüglich ergiebigste Austausch mit Moritz Müller von St. Gallen bereits 1714 abgebrochen, so begannen die regen Bemühungen des in der Mehrerau am Bodensee lebenden Apronian Hueber um eine Mitwirkung der Schweizer Klöster an Bernhards Projekten erst nach und nach, mehr oder minder substantielle Ergebnisse zu zeitigen. Die wenigen erhaltenen Schweizer, oder streng genommen Graubündner, Korrespondenzen des Betrachtungszeitraums bieten hingegen hauptsächlich Ergänzungen zu den früheren Einsendungen von Defuns (Cölestin Berther, Basil Bischoff, Maurus Wenzin).

Italien blieb weiterhin für Bernhards Anliegen nur schwer zu erreichen. Mariano Armellini in Rom kannte die dritte Enzyklik nachweislich (Nr. 714), reagierte aber, soweit feststellbar, nicht. Seine eigenen Arbeiten an einem Schriftstellerlexikon der Kongregation von Monte Cassino ließen ihm vermutlich die Weitergabe der darin zu verwendenden Informationen vor der Publikation nicht angeraten erscheinen95. Mit Giuseppe Maria Sandi, dem Bibliothekar von S. Giustina zu Padua, trat hingegen erstmals ein sichtbar bemühter Cassinenser Korrespondent auf, der einige lokale Benediktinergelehrte – Flaminio Carrara und Attilio Vignola – zur Mitarbeit bewegen konnte. Licinio Martinoni in S. Giorgio Maggiore zu Venedig hatte von sich aus bereits zuvor auf die Enzyklik reagiert.

Durch den Prior von Werden Theodor Thier fand erstmals auch eine systematische Versendung von Enzykliken in die niedersächsischen, westfälischen und rheinischen Klöster der Bursfelder Kongregation statt, ebenso ergab sich hier ein

95 Sandi sprach diesen Verdacht offen aus: Nr. 811.

Kontakt nach Lamspringe, der norddeutschen Niederlassung der Englischen Benediktinerkongregation. Zudem bemühte sich der kurpfälzische Bibliothekar Johann Buchels um die Verbreitung der Enzyklik in Köln und Umgebung. Der Rücklauf war freilich auch aus diesen Gegenden eher gering. Kontakte mit mitteldeutschen oder böhmischen Benediktinern sind in dieser Phase nicht nachweisbar.

Eine der wohl bedeutsamsten Veränderungen in der Pez-Korrespondenz um 1716 liegt in dem Umstand, dass parallel zur letzten Versendung einer Enzyklik im vornehmlich benediktinischen Rahmen die Veröffentlichung eines ähnlichen, jedoch leicht anders gewichteten Aufrufs in den „Acta eruditorum“ zu Leipzig und in anderen Gelehrtenzeitschriften erfolgte (Anhang III.1). Insbesondere durch die Vermittlung von Johann Christoph Bartenstein hatten sich seit 1715 intensivere Kontakte mit Leipzig ergeben (Abschnitt I.4, I.5).

Einen substantiellen Wandel erfuhr im Betrachtungszeitraum das Verhältnis zwischen Bernhard und Johann Christoph Bartenstein selbst. Bartenstein fuhr zunächst mit der ausführlichen Weitergabe gelehrter und kirchenpolitischer Neuigkeiten aus Frankreich und Mitteldeutschland fort. Dabei entstand durch die Weiterreichung von Briefen und die oftmals wörtliche Wiedergabe von deren Inhalten ein hohes Maß an Verflechtung mit anderen Korrespondenzen – sowohl im Hinblick auf andere Briefpartner der Brüder Pez96 als auch auf Gelehrte, mit denen sie nur auf diesem Wege indirekt in Berührung kamen, wie Leibniz oder den Mauriner Charles de la Rue. Gegen Ende 1717 änderte sich der Ton, zumal Bartenstein in der Auseinandersetzung zwischen Pez und Gentilotti (Abschnitt I.5) bei aller von ihm versuchten Diplomatie doch keinen Bruch mit dem Letzteren riskieren konnte oder wollte. Es ist nicht nachweisbar, aber möglich, dass Bartenstein den Brief, in dem Bernhard ihm erstmals von dem Streit berichtete (Nr. 828), unmittelbar an Gentilotti weitergab; jedenfalls ist das Schreiben in dessen Nachlass abschriftlich überliefert. Ähnlich wie die Korrespondenz mit Bartenstein enthält auch jene mit Gerhard Cornelius van den Driesch hauptsächlich gelehrte und bibliographische Neuigkeiten aus dem jeweiligen Gesichtskreis in Wien und im Ausland; um Fragen zu einzelnen Texten und Überlieferungen geht es kaum. Ähnlich verhält es sich mit den Briefen, die Bernhard bis kurz vor dem Ausbruch der Kontroverse noch mit Gentilotti selbst wechselte. In diesen Briefen meist nicht direkt sichtbar, aber zu erahnen ist die weitere Resonanz bei Adeligen und Klerikern aus dem höfischen Umfeld (Abschnitt I.5).

Als Folge von Bartensteins Vermittlungstätigkeit und der daraus resultierenden Präsenz der Brüder Pez in protestantischen Gelehrtenjournalen, durch die es zu einer breiteren Kenntnisnahme ihrer Forschungsanliegen im mitteldeutschen Raum kam, entstanden im Betrachtungszeitraum Kontakte Bernhards mit namhaften Gelehrten dieses Milieus: mit Johann Burkhard Mencke, Burkhard Gotthelf Struve und Johann Gottlieb Krause. Bemerkenswert an der zuletzt genannten Korrespondenz ist der getarnte Versuch von Bernhard Raupach, über Vermittlung Johann Lorenz Mosheims durch Krause an Quellen zu Österreichs evangelischer Kirchengeschichte

96 Eckhart, Gentilotti, Mascov, Mutzenbecher, Steyerer, Van den Driesch, Widow.

zu gelangen, die Bernhard liefern sollte. Möglicherweise war es die konfessionsbedingte Bedenklichkeit derartiger Anfragen, möglicherweise die auch für Bernhard potentiell unangenehme Situation, welche mit dem Verbot von Krauses Zeitschrift „Umständliche bücher-historie“ einherging97; möglicherweise spielte der Konflikt mit Gentilotti, der ja teilweise in den „Acta eruditorum“ ausgetragen wurde, eine Rolle, indem diese Publizität im Umfeld Bernhards unerwünscht sein konnte; in jedem Fall haben sich die gelehrten Kontakte nach Leipzig in den folgenden Jahren weder intensiviert noch verstetigt.

Ein anderes Milieu protestantischer Gelehrsamkeit, das im Rahmen der Pez- Korrespondenz mit dem zuvor beschriebenen kaum Schnittmengen aufzuweisen scheint, erschließt sich mit dem Ende 1717 einsetzenden Briefwechsel mit Johann Georg Eckhart98, dem Nachfolger des im Vorjahr verstorbenen Leibniz als Bibliothekar in Hannover und welfischer Haushistoriograph. Mit Leibniz selbst waren die Brüder Pez, soweit sich feststellen lässt, nie in direkten Kontakt gekommen, obwohl gerade sein Aufenthalt in Wien von 1712 bis 1714 den einen oder anderen Reflex in ihrer Korrespondenz hinterlassen hatte. Anders als im Fall von Leipzig und Jena, wo Universitäten und Verlage als institutionelle Zentren des gelehrten Lebens erscheinen, ist bei Eckhart der höfische Hintergrund deutlich wahrnehm- bar. Der Gabentausch zwischen ihm und Bernhard funktioniert auf allen Ebenen ausgezeichnet99, da beide Korrespondenten jeweils über Ressourcen verfügen, die für den anderen zugleich begehrenswert und schwierig anders zu bekommen sind: Eckhart über Leibniz’ Kollektaneen (Abschnitt I.4)100, Möglichkeiten zur finanziellen Förderung durch seinen Herrn, den nunmehrigen König von England, sowie einen gewissen Überblick über die nordeuropäische Forschungslandschaft; Bernhard über Zugang zu den für Eckharts Welfengeschichte unabdingbaren Beständen der Klöster Oberdeutschlands. Neben dem Briefwechsel mit Massuet ist der mit Eck- hart nicht nur einer der intensivsten, sondern auch der herzlichsten und persön- lichsten in Bernhards Korrespondenz.

Zum ersten Vermittler von Kontakten nach Mitteldeutschland freilich, Konrad Sigler in Würzburg, bricht in diesem Zeitraum der Briefwechsel ab, vielleicht im Zusammenhang mit der Eckhart-Korrespondenz. Neue Kontaktpotentiale im rheinischen und niederländischen Raum ergeben sich hingegen durch die Beziehung mit dem bereits erwähnten Johann Buchels in Düsseldorf. Der Briefwechsel wird durch Theodor Thier in Gang gebracht (Nr. 603); unabhängig davon steht Buchels auch Gerhard Cornelius van den Driesch nahe, der von Wien aus mit Bernhard in Verbindung getreten ist101. Als leidenschaftlicher Büchersammler hat Buchels in erster Linie Interesse an Inkunabeln und Frühdrucken der lateinischen Klassiker,

97 Nr. 650; vgl. PEPER, Österreichische Gelehrtenwelt 24.

98 Angelagerte Korrepondenz: Johann Hermann Schmincke.

99 Zur Zusammenarbeit unter Gelehrten als Ökonomie des Gabentausches sei nur verwiesen auf GOLDGAR, Impolite Learning; KÜHN, Wissen 47–70.

100 WALLNIG, Eckhart als Verwerter.

101 Buchels gefällt sich darin, von Bernhard, Van den Driesch und sich selbst als den „drei Grazien“ zu sprechen: Nr. 814, 919.

dafür stellt er seine bibliographischen Kenntnisse und seine klösterlichen Kontakte in den Dienst von Bernhards Forschungsanliegen.

Schwach vertreten in der Pez-Korrespondenz dieser Jahre sind, sieht man von dem Kartäuser Leopold Wydemann ab, andere klösterliche Orden. Der Kontakt zu dem Augustiner-Chorherrenpropst Augustin Erath bricht ab102, derjenige zu dem Trinitarier Johann a Sancto Felice läuft nach zwei letzten Briefen aus. Das Schreiben des Geraser Prämonstratensers Candidus Natzer beruht auf einer missverständlichen Auffassung von Bernhards und Hieronymus’ Forschungsvorhaben.

Ein eigener Kosmos tut sich hingegen mit Leopold Wydemann auf, dessen im Herbst 1717 einsetzende Briefe insgesamt rund ein Viertel der erhaltenen passiven Pez-Korrespondenz ausmachen103. Der Bibliothekar der Kartause Gaming ist ein äußerst ausführlicher Briefschreiber, was er selbst im Zusammenhang mit seiner charakterlichen Disposition und einem Sprachfehler reflektiert (Nr. 898). Die engen Verbindungen zwischen Melk und Gaming im Rahmen der spätmittelalterlichen Klosterreformbewegungen bieten einen häufig erwähnten Anknüpfungspunkt für die Zusammenarbeit, wobei Wydemanns klar hervortretende Forschungsanliegen sowohl in Bernhard als auch in Hieronymus einen kongenialen Ansprechpartner finden: Mit diesem diskutiert Wydemann genealogische Fragen zur Geschichte der Habsburger und vor allem der Grafen von Cilli, mit jenem vorwiegend monastische Literatur des Spätmittelalters. Überfordert zeigt sich Bernhard nur von den überaus eingehenden, dabei teils höchst spekulativen Ausführungen Wydemanns über die Zuschreibung verschiedener Hymnen und Sequenzen (Nr. 948, 953). Ein durchgehendes Anliegen des Kartäusers ist das Reklamieren möglichst vieler Schriften für Autoren seines eigenen Ordens. Wydemann steht zudem in regelmäßiger Verbindung mit dem am Kaiserhof arbeitenden jesuitischen Historiker Anton Steyerer; bei ihm laufen somit drei im Wesentlichen voneinander unabhängige Netzwerke zur Beschaffung von Quellen zur Geschichte „Österreichs“ – in allen damaligen Bedeutungen – zusammen: Das der Brüder Pez, das nicht minder weit gespannte des Jesuiten, von dem heute dessen umfangreicher Briefnachlass zeugt104, sowie ein nur mehr bruchstückhaft zu rekonstruierendes eigenes Netz Wydemanns, das vor allem, aber keineswegs ausschließlich Kartausen umspannte.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass im Betrachtungszeitraum die Korrespondenz von Hieronymus Pez, verbunden mit der zunehmenden Profilierung seines Forschungsvorhabens (Abschnitt I.4), gegenüber der Bernhards immer deutlicher hervortritt. In einige von Bernhard initiierte Briefwechsel tritt

102 Zu den vorangegangenen Kontroversen im Rahmen des Vorrangstreits zwischen seinem Orden und dem der Benediktiner vgl. FISKA, Schramb 232–235; STOCKINGER, Factualité; STOCKINGER, Felix mansurus 184–190. Mehrere benediktinische Korrespondenten, namentlich Egger, Edlinger und Friepeis, zeigten auch weiterhin reges Interesse an diesem Thema: Nr. 659, 847, 868, 900, 947.

103 vgl. GLASSNER, Verzeichnis 239–242. Zur Person Wydemanns zuletzt FISKA, Geschichtsforschung.

104 HHStA Wien, Hs. Rot 8/1–2 und Hs. Weiß 43. Die Aufarbeitung dieser Bestände ist durch Patrick Fiska und Severin Matiasovits im Rahmen des von Thomas Winkelbauer geleiteten und vom Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank finanzierten Projekts „Die virtuelle Bibliothek der Kartause Gaming“ im Gange.

Hieronymus punktuell ein, wo sein Spezialgebiet diskutiert werden soll, etwa in jenen mit Eckhart; gegenüber anderen Korrespondenten erscheint er gleichrangig neben seinem Bruder, so gegenüber Wydemann, oder übernimmt sogar den Groß- teil eines Briefwechsels, namentlich desjenigen mit Friepeis. Auch den vorwiegend freundschaftlichen Briefverkehr mit Joachim Edlinger im nahen Seitenstetten führt bald überwiegend Hieronymus. Daneben gibt es auch Korrespondenzen, die von Beginn an nur seine eigenen sind. Dazu zählt die auf persönliche Bekanntschaft während der Kremser Gymnasialzeit des jüngeren Pez rekurrierende Verbindung zu dem Jesuiten Franz Wagner, vor allem aber mehrere kurze Briefwechsel, die in eindeutigem Zusammenhang mit den „Scriptores rerum Austriacarum“ stehen: mit dem Gothaer protestantischen Kirchenrat und Bibliothekar Ernst Salomon Cyprian, dem kaiserlichen Rat und schlesischen Geschichtsforscher Ferdinand Ludwig von Bressler und Aschenburg sowie dem Diplomaten Gustav Adolf Gotter als Mediator des Kontakts mit Cyprian.

Hieronymus kann im Interesse seiner auf „Österreich“ bezogenen Forschungen auch den Kontakt mit Steyerer noch zumindest kurz aufrecht erhalten, nachdem dieser den Austausch mit Bernhard im Gefolge von dessen antijesuitischer Streitschrift „Epistolae apologeticae“ (Abschnitt I.5) abgebrochen hat. Gentilotti gibt zu verstehen, dass Bernhard von Steyerers Schweigen nicht allzu überrascht sein dürfe und dessen Grund ohne Schwierigkeit erraten könne (Nr. 509). Mitteilungen über Steyerer macht in den folgenden Jahren Wydemann, der dabei keinen Zweifel daran lässt, dass er den Konflikt zwischen Benediktinern und Jesuiten als schädlich verurteilt und selbst nicht hineingezogen werden will (Nr. 857). Wagner bittet knapp, Hieronymus möge von Bernhard gar nicht sprechen (Nr. 1030). Konziliant gibt sich hingegen der von Bernhard im Zusammenhang mit der Neuauflage der „Cura salutis“ kontaktierte Ausgburger Jesuit Kaspar Mändl (Nr. 712)105.

Einige Briefwechsel lassen sich in die bisher skizzierten größeren Korrespondentengruppen nicht einordnen. Gänzlich von dessen Eigeninteressen getragen ist die Korrespondenz mit dem Ex-Vannisten und Ex-Cassinenser Casimir Freschot, der vor allem versucht, über Bernhards Vermittlung Eingang in ein österreichisches Kloster zu finden. Als einzelne Fragmente aus den Beziehungen zu benachbarten Klöstern erscheinen die bibliothekarische Anfrage Bernhards an Moritz Höppel in Göttweig, die Antwort von Abt Gottfried Bessel darauf sowie das Dankschreiben, das der Garstener Abt Ambros von Freudenpichl Bernhard in Reaktion auf dessen Dedizierung der „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“ zukommen ließ. Hier ist zu vermuten, dass erhebliche Teile der Kommunikation oral bei wechselseitigen Besuchen von Angehörigen dieser Klöster erfolgten, während Schriftliches wohl oft nicht dauerhaft aufbewahrt wurde. Nicht recht klar wird der Hintergrund eines Schreibens des Salzburger Kanonisten Benedikt Schmier; vorangegangen war hier anscheinend eine Anfrage an Bernhard in Verbindung mit einer in Vorbereitung befindlichen Thesenschrift Schmiers. Ebenso unklar ist, was den protestantischen Konrektor am Regensburger Gymnasium Johann Christoph Eibelhuber ein gutes

105 Warum sich Bernhard mit seiner Beschwerde gerade an Mändl gewendet haben sollte, bleibt ungeklärt.

Jahr nach seiner Begegnung mit Bernhard und Hieronymus während ihrer bayerischen Reise zu einer Kontaktaufnahme veranlasste, bei der er wenig mehr als eine topisch formulierte allgemeine Bitte um gelehrten Austausch vorzubringen hatte.

Im Falle Eibelhubers wie auch bei anderen Korrespondenzen lässt sich deutlich erkennen, dass Bernhard gezielte Arbeitsanweisungen für Erledigungen oder Zuarbeiten im Zusammenhang mit der „Bibliotheca Benedictina“ respektive mit dem „Thesaurus“ erteilte. Er tat dies nicht mehr nur gegenüber Melker Mitbrüdern wie Kaspar Altlechner (Nr. 391), Engelbert Kirchstetter oder Joachim Priestersperger, sondern auch gegenüber Benediktinern anderer Klöster wie etwa Dullinger, jungen Wiener Aristokraten wie Jakob Christoph von Schmerling und eben auch Protestanten wie Eibelhuber. Zum wohl produktivsten Mitarbeiter entwickelte sich bald nach dem Beginn seiner Verbindung mit Bernhard bereits Leopold Wydemann; er übernahm mehrfach selbst Abschreibarbeiten oder delegierte sie an seine Gaminger Mitbrüder, insbesondere Sebastian Treger106. Noch deutlicher als bereits vor 1715 tritt Bernhard gleichsam als Leiter einer „Werkstätte“ zur Bearbeitung von Quellen- material hervor107, deren Struktur in erheblichem Maße – gleichsam im Verlags- system – delokalisiert war.

Insgesamt zeigt sich wie bereits für die Jahre zuvor, dass nahezu die gesamte überlieferte Korrespondenz von vorwiegend bis ausschließlich gelehrtem Charakter ist; der eingangs skizzierte monastische Kontext wird selten deutlich sichtbar. Von Briefen dezidiert monastischen Inhalts sind nur zwei Spuren (Nr. 735, 921) erhalten. Eine kaum wahrnehmbare Rolle spielt im Betrachtungszeitraum die Tages- politik108, sieht man von Bartensteins unvermindert eloquenter Schilderung der ihm zu Ohren gekommenen Begebenheiten ab. Bemerkenswert ist – bei Bartenstein, Van den Driesch und noch mehr bei Freschot – auch die soziale Erweiterung des Briefwechsels auf Personen, die sich in prekären sozialen Lagen befinden und für die Bernhard selbst in die Rolle eines, freilich vergleichsweise schwachen, Patrons kommt. Auch Schannats erste Reise nach Österreich ist unter diesem Blickwinkel zu sehen (Abschnitt I.2).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass sich die bereits im Hinblick auf die zunehmenden klosterinternen Spannungen (Abschnitt I.1) konstatierte Akzentuierung der Differenzen zwischen monastischer und gelehrter Sphäre auch im Bereich der Korrespondenz beobachten lässt. Tendenziell verschiebt sich nämlich in den Jahren 1716 bis 1718 deren Schwerpunkt weg von kleineren, oft durch die Enzykliken angestoßenen ordensinternen Briefwechseln hin zu eher wenigen, aber intensiveren und in Habitus und Inhalt deutlicher als solche zu erkennenden Gelehrtenkorrespondenzen109. Noch ein weiteres Mal lässt sich dieselbe Beobachtung auf der Ebene der historischen Forschung selbst machen: bei der Verschiebung von

106 FISKA, Geschichtsforschung 229, 231, 242; vgl. GLASSNER, Handschriften 133–135.

107 Dieser Aspekt wird deutlich herausgearbeitet bei GLASSNER, Thesaurus 354–358.

108 Vgl. WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 10–12.

109 Zur Tendenz der benediktinischen Gelehrtennetzwerke, über die Grenzen des Ordens hinauszuwachsen, vgl. FISCHER, Netzwerke 199f.; FISCHER, Wissens- und Kommunikationsräume 279–282. Dies dürfte für andere Ordensgelehrte in ähnlicher Weise gelten.

Bernhards zentralem Forschungsanliegen weg vom ausschließlich benediktinischen Schriftstellerlexikon hin zur wesentlich breiter angelegten Quellensammlung, die neben denen des Ordens auch ganz „unbenediktinische“ Interessen bedient.

I.4 Vom Schriftstellerlexikon und Handschriftenkatalog zur Quellensammlung

Bernhards vorrangige Forschungs- und Publikationsziele durchliefen während des Betrachtungszeitraums eine substantielle Wandlung. Der Plan einer „Bibliotheca Benedictina“ bestand zwar weiter, doch wurde eine Fertigstellung innerhalb von zwei Jahren, wie dies Bernhard auf Drängen Massuets (Nr. 450) in seiner dritten Enzyklik noch angekündigt hatte, immer unrealistischer, und es lagerten sich zwei neue Stränge an das Hauptvorhaben an.

Zum einen wurden in Johann Gottlieb Krauses Rezensionsjournal „Umständliche bücher-historie“ im Jahr 1716 Handschriftenbeschreibungen Bernhards zu sechs Klöstern publiziert, die er 1715 besucht hatte (Anhang III.1). Das offenbar beträchtliche Interesse, das Leipziger Gelehrte an der Bekanntmachung von solchen ihnen sonst unzugänglichen Materialien bekundeten, dürfte zur Konzeption eines „Itinerariums“ der Klosterreise 1717 (Abschnitt I.2) geführt haben. Dieses scheint schließlich seine endgültige Form im ersten Teil der „Dissertatio isagogica“ zum ersten Band von Bernhards „Thesaurus“ gefunden zu haben. Anfang 1716 war auch noch vom Plan der Drucklegung eines Melker Handschriftenkataloges unter dem Titel „Bibliotheca Mellicensis“ (Nr. 509, 530) beziehungsweise in Fortsetzung der Publikation in der „Umständlichen bücher-historie“ (Nr. 650) die Rede.

Zum anderen bildete sich in diesem Zeitraum die Idee zu dem Werk aus, das schließlich als „Thesaurus anecdotorum novissimus“ erscheinen und Bernhards ge- wichtigste, bekannteste, nachhaltig wirksamste Publikation bleiben sollte. In der eben erwähnten „Dissertatio isagogica“ legte Bernhard später seine Motivation zu diesem Schritt dar. Mit der Notwendigkeit einer umfassenden Quellenrecherche für die „Bibliotheca Benedictina“ begründete er die in den letzten Jahren unternommenen Klosterreisen110; nach jener von 1717, berichtete er, habe ihn bei der Durchsicht der gesammelten Handschriftennotizen der Gedanke nicht mehr ruhen lassen, dass eine Veröffentlichung der neu entdeckten Texte die Gelegenheit bieten würde, sich um die res publica Christiana und litteraria sowie um die Heiligen im Himmel Verdienste zu erwerben, Mußestunden in löblicher Weise einzusetzen und sowohl dem Geist ( ingenium ) hervorragende Lehren als auch der Seele ( animus ) fromme Gedanken zuzuführen111. Diese kurze Passage umreißt das Vorhaben in seiner gelehrten ebenso wie in seiner genuin monastischen Dimension und führt zugleich auf deren Synthese im Sinne der positiven Theologie. Als ausdrückliche Referenz für die Zwecke und die Gestaltung der Sammlung nannte Bernhard den wenige Jahre zuvor erschienenen „Thesaurus novus anecdotorum“ von Martène

110 PEZ, Thesaurus 1 ii.

111 PEZ, Thesaurus 1 liii f.

und Ursin Durand, auf den auch der Titel anspielt112. Als Vorstufe der Idee zum „Thesaurus“ kann freilich auch das bereits in der dritten Enzyklik ausgesprochene Vorhaben, die „Bibliotheca Benedictina“ am Ende jedes Bandes durch die Edition bisher ungedruckter Quellen zu erweitern, angesehen werden; Bernhard verselbstän- digte nun freilich dieses Projekt und löste es von der „Bibliotheca“, die – wie er zwar nicht ausdrücklich sagte, aber wohl erkannt haben musste – in näherer Zeit nicht vollendet werden konnte.

Die maurinische Inspiration des „Thesaurus“ lässt sich über den Verweis in der „Dissertatio isagogica“ hinaus in der Korrespondenz von 1716 und 1717 in einer Reihe von Schritten nachvollziehen. Am Beginn des Betrachtungszeitraums steht mit der „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“ ein Werk, das auch von Zeitgenossen als Vorgeschmack auf die „Bibliotheca Benedictina“ angesehen wurde (Nr. 811). Eine unmittelbare Veranlassung oder Beauftragung für diese Arbeit ist nicht erkennbar; zu denken ist am ehesten an einen Zusammenhang mit den Bemühungen um die Errichtung einer benediktinischen Studienkongregation (Abschnitt I.5). Das Werk fußte auf einem heute nur in Fragmenten erhaltenen Schriftstellerkatalog, den Massuet eingesendet hatte113, der aber an vielen Stellen fehlerhaft war. Ohne einen schlüssig erklärten inhaltlichen Zusammenhang fügte Bernhard die Edition einer anonymen mittelalterlichen Abhandlung über Kirchenschriftsteller an, die er in einer Melker Handschrift entdeckt hatte (Nr. 490).

Als 1716 die Kommunikation mit St.-Germain-des-Prés wieder in Gang kam, lobten Bernhards maurinische Korrespondenten zwar dieses Werk, machten sich aber auch die Korrektur der darin enthaltenen Fehler zum Anliegen (Nr. 764, 799). Auch weitere Informationen zu den Schriftstellern der Kongregation wurden an Bernhard gesendet, teils in ausführlicher Form (Nr. 594, 749, 827); die Aussicht auf eine berichtigte Neuausgabe der „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“ stand hier vor Augen. Auch Quelleneditionen wurden besprochen: Im Oktober 1716 äußerte Bernhard gegenüber Martène noch den in der Enzyklik ventilierten Plan, bisher ungedruckte Schriften benediktinischer Autoren in der „Bibliotheca Benedictina“ zu publizieren (Nr. 679). In diese Zeit fiel auch Bernhards erste Kenntnisnahme des „Thesaurus novus anecdotorum“, auf den ihn Martène hingewiesen hatte; das Werk befand sich gerade im Druck (Nr. 677). Ein gutes Jahr später, im März 1718, forderte derselbe Martène Bernhard dazu auf, ihm eine Liste der Texte zu senden, die Bernhard als bisher unveröffentlicht ( anecdota ) ansah und daher zu publizieren gedachte (Nr. 918).

Möglicherweise bot die Abfassung dieser Liste Bernhard die Gelegenheit, den wohl schon seit dem Vorjahr gehegten Editionsplan zu konkretisieren; jedenfalls zeigt das Resultat den Stand des Vorhabens um diese Zeit. Bernhard hatte bereits während der bayerischen Reise und in den Monaten nach ihrer Beendigung sehr

112 PEZ, Thesaurus 1 i; vgl. GLASSNER, Thesaurus 348; WALLNIG, Pez und Mauriner 162f.

113 Die verbliebenen Bruchstücke finden sich in StiA Melk, Karton 7 Patres 10, Fasz. 2, Nr. 2 und 3. Massuets Katalog dürfte zumindest in Teilen unmittelbar als Druckvorlage verwendet worden sein und gelangte wohl danach nicht mehr nach Melk zurück. Wann er von Massuet an Bernhard geschickt worden war, geht aus der Korrespondenz nicht hervor.

häufig in seinen Briefen mehr oder weniger detaillierte Angaben entweder zu einzelnen Funden oder zum Gesamtumfang derselben gemacht, bei Empfängern wie Bartenstein (Nr. 828) oder Struve (Nr. 885) mit Blick auf einen Werbeeffekt in der Gelehrtenwelt, gegenüber Prior Larson eher in der Absicht einer Rechtfertigung der Erlaubnis zur Reise (Abschnitt I.2). Martène unterbreitete er nun (Nr. 931) ein acht Seiten langes Verzeichnis ( syllabus ), das – noch ohne erkennbare Ordnung und ohne Angabe der Fundorte114 – die Texte umfasste, die ihm editionswürdig erschienen. Es ist in Paris im Original erhalten115; von einer zweiten Fassung, die er wenig später, aber bereits mit Berücksichtigung von Martènes Rückmeldungen (Nr. 932) für Eckhart erstellte und diesem zukommen ließ (Nr. 946), liegt heute in Hannover noch eine Abschrift vor116.

Eine Zirkulation von Projektbeschreibungen per Brief, Druck oder in einem Periodikum kann durchaus als charakteristisch für die historisch-kritische Gelehrsamkeit dieser Jahre gelten. Bernhard hatte bereits in seiner zweiten Enzyklik und in den „Epistolae apologeticae“ gedruckte Schriftstellerlisten zur Ergänzung und Korrektur vorgelegt; die dritte Enzyklik enthielt, wie erwähnt (Abschnitt I.3), ebenso programmatische Äußerungen zur „Bibliotheca Benedictina“ wie der in die „Acta eruditorum“ und in weitere Zeitschriften eingerückte „Conspectus“ (Anhang III.1). Auch Eckhart ließ 1716 einen „Conspectus“ zu einem beabsichtigten „Thesaurus antiquitatum Germanicarum“ zirkulieren (Nr. 561), Struve 1717 den Entwurf zu einem „Magnum pacis foederumque theatrum“ (Nr. 759); gegenüber Le Texier hatte Bernhard selbst angeregt, eine weitere Enzyklik im Zusammenhang mit den „Annales OSB“ zu verfassen (Nr. 700, 764).

Der Vorlage so substantieller Informationen, wie sie die syllabi enthielten, im privaten Rahmen der Korrespondenz kam allerdings eine besondere Qualität zu, welche die unterschiedlich gelagerten Motivationen des Gebens und Nehmens in allen Schattierungen vor Augen führt. Martène und Eckhart verfügten ja mit den maurinischen respektive den von Leibniz hinterlassenen Arbeitsmaterialien über Bestände, auf deren Grundlage wesentliche Ergänzungen und Berichtigungen zu Bernhards syllabus angebracht werden konnten. Besonders die Bestimmung von einzelnen Texten als publiziert oder unpubliziert musste Bernhard im Lichte der Auseinandersetzung mit Gentilotti wichtig sein (Abschnitt I.5). Martène reagierte freundlich, seine Hinweise schützten aber nicht nur Bernhard vor diesbezüglichen Irrtümern, sondern auch die Priorität der maurinischen Editionswerke, darunter nicht zuletzt seines eigenen. Die Parallelität zwischen Martènes „Thesaurus“ und der später nach ihm benannten Sammeledition Bernhards ermöglichte sowohl die hilfreiche Beratung, die Martène leistete, als auch die konzeptionellen Anleihen, zu denen sich Bernhard im fertigen Werk mit aller gebührenden Würdigung Martènes

114 Werke ein und desselben Verfassers sind jeweils gruppiert, es ist aber weder eine chronologische noch eine alphabetische Reihung der Autoren gegeben. Auch die später im „Thesaurus“ angewendeten thematischen Kategorien dienen nicht als Ordnungsprinzip. Dass keine Angaben zu den Verwahrungsorten der Vorlagen gemacht werden, kann als Vorsichtsmaßnahme zur Wahrung von Bernhards Priorität gedeutet werden.

115 BN Ms. lat. 17194, 268r–271v.

116 HStA Hannover, Hann. 93 175, 7r–10v.

bekannte; sie erzeugte allerdings zugleich ein Potential zur Konkurrenz zwischen den beiden Arbeitsvorhaben, das keinem der Beteiligten entgangen zu sein scheint. Nicht beachtet wurden von Bernhard allerdings jene Hinweise, in denen Martène wegen vermeintlich mangelnden Quellenwerts oder inhaltlicher Bedenklichkeit von einer Edition abriet, so bei Schriften von Petrus Abaelard; hier scheint Bernhard sein eigenes Urteil über das des Mauriners gestellt zu haben.

Auch Eckhart antwortete eingehend auf den ihm vorgelegten syllabus (Nr. 955) und bot dabei eine Reihe von teils zutreffenden, teils recht gewagten Vorschlägen zur Identifizierung von Texten und Verfassern. Wesentlich knapper reagierte im folgenden Dezember Leopold Wydemann auf einen ihm von Bernhard unterbreiteten conspectus (Nr. 1023); ob es sich hierbei um eine aktualisierte Version eines handschriftlichen syllabus oder um eine gedruckte oder zumindest druckreife Darstellung des Vorhabens handelte, ist nicht ersichtlich. Letzteres hatte Bernhard im Juni gegenüber Eckhart immerhin als Absicht angesprochen (Nr. 946).

Ergänzend zu den syllabi und den Reaktionen darauf runden einzelne programmatische Aussagen Bernhards das Bild der konzeptionellen Formung des „Thesaurus“ im Laufe des Jahres 1718 ab117. Gegenüber Eckhart wurden der Aufbau und der Inhalt des ersten Bandes detailliert erläutert (Nr. 1003, 1020), wobei erstmals die dreiteilige thematische Gliederung in exegetische, andere theologische sowie historische Texte zur Sprache kam, die später für die ersten vier Bände in Geltung bleiben sollte. Gegenüber Struve hob Bernhard die diplomatischen Quellen hervor, was verdeutlicht, dass ihm die Leipziger Erwartungshaltung zumindest im Ansatz bewusst gewesen sein dürfte (Nr. 885). In der Korrespondenz mit Eckhart kommt weiters ein völlig neuer Gesichtspunkt mit einiger Deutlichkeit zum Vorschein: die Befassung Bernhards mit altdeutschen Schriftdenkmälern, welche in der Folge eine gemeinsame Interessensbasis mit den norddeutsch-protestantischen Gelehrten im Allgemeinen und mit dem einschlägig sehr interessierten Eckhart im Besonderen darstellen sollte118.

Ein zu den Äußerungen an die Adresse der protestantischen Historiker komplementäres Bild liefern die Diskussionen in der Korrespondenz mit Wydemann über die Auswahl von Texten zur Edition. Rein pragmatische Gesichtspunkte der Verfügbarkeit und Lesbarkeit handschriftlicher Vorlagen sowie des Umfangs einzelner Schriften spielen hier eine bedeutende Rolle, aber auch inhaltliche Aspekte kommen zur Sprache und sorgen mitunter für Meinungsverschiedenheiten. Dass die aktuelle Anwendbarkeit moralischer, ekklesiologischer oder anderer theologischer Inhalte für Bernhard und für Wydemann gleichermaßen den Horizont der Überlegungen bildete, aber von beiden unterschiedlich beurteilt wurde, zeigt sich in besonderer Deutlichkeit am Fall des „Gubernaculum conciliorum“ von Andreas de Escobar (Nr. 928, 935, 1022). Diese prononciert konziliaristische Abhandlung

117 Zu Konzeption und Aufbau des Werkes vgl. GLASSNER, Thesaurus; KATSCHTHALER, Briefnachlass 76f.

118 vgl. KNAPP, Altdeutsche Dichtung 698–702; WALLNIG, Pez im Briefkontakt 138. Eckhart erhielt von Bernhard mehrmals althochdeutsche Textproben, wenigstens einmal sogar ein aus einem Codex entnommenes Blatt im Original: Nr. 912. Bei einer einschlägigen Anfrage von Konrad Sigler wurde Eckhart von Bernhard als Experte zu Rate gezogen: Nr. 915, 946.

wurde von Bernhard mit den Appellen an ein allgemeines Konzil gegen die Bulle „Unigenitus“ in Verbindung gesetzt und anscheinend für besonders publikations- würdig gehalten; Wydemann glaubte aus demselben Grund seine Mitarbeit verweigern zu müssen119. Die gemeinsame Grundannahme der Gegenwartsrelevanz der theologischen Aussagen mittelalterlicher Autoren lässt sich der Strömung der positiven Theologie120 zuordnen, auch wenn diese nicht explizit als Schlagwort in der Korrespondenz aufscheint.

Im Laufe des Jahres 1718 durchliefen schließlich drei wesentliche Elemente im Zusammenhang mit Bernhards geplanter Quellensammlung eine bemerkenswerte Entwicklung: der vorgesehene Druckort, der Titel sowie der Zeitplan. Einzig ein Brief an Struve vom Januar 1718 bietet einen Beleg für die Absicht, das Werk bei Gleditsch in Leipzig drucken zu lassen (Nr. 885), wobei Bernhard wie gegenüber Eckhart (Nr. 912) einen Druckbeginn im folgenden Sommer in Aussicht stellte; im Februar war gegenüber Dullinger sogar von Ostern die Rede (Nr. 902). Im Juli desselben Jahres rechnete Bernhard immerhin noch proxime mit der Drucklegung und binnen eines Jahres mit der Fertigstellung des ersten Bandes (Nr. 961). Als es Oktober geworden war, ging er vom Abschluss des ersten Teils des ersten Bandes, der sich bereits im Druck befand, binnen acht Wochen aus, wobei nun bereits von Augsburg als Druckort gesprochen wurde (Nr. 1003); im Dezember befanden sich auch die beiden anderen Teile unter der Presse (Nr. 1020). Mit Augsburg und der Firma der Gebrüder Veith war der verlegerische Rahmen der Publikation zwar noch immer ein bikonfessioneller, doch verschob diese Wahl die Veröffentlichung in den Bereich des katholischen oberdeutschen Buchmarkts – ein Hintergrund, der für die weitere konzeptionelle Entwicklung wie auch für die Rezeption des Werkes von Bedeutung ist, und zwar gerade im Gegensatz zu den tatsächlich bei Gleditsch in Leipzig erschienenen ersten Bänden von Hieronymus’ „Scriptores“.

Das Titelwort „Thesaurus“ fiel erstmals im November 1718 (Nr. 1016). In den beiden syllabi sowie in der Korrespondenz bis zum Juli 1718 war das Werk unter der Bezeichnung „Novum spicilegium“ erschienen, einer expliziten Anspielung auf die Quellensammlung des Mauriners Jean-Luc d’Achery (zuletzt in Nr. 959)121; der Rückgriff auf die ältere Bezeichnung „Bibliotheca Mellicensis“, nun freilich in einer von früheren Verwendungen deutlich abweichenden Bedeutung, im Juni und Juli 1718 (Nr. 946, 961) blieb eine Episode. Im Dezember sprach Bernhard vom primus Anecdotorum meorum tomus (Nr. 1020).

Die weitere Geschichte der Drucklegung des „Thesaurus“ wird sich anhand der folgenden Korrespondenzjahre im Detail nachvollziehen lassen; sie wirft freilich einige Probleme bei der Datierung darin erwähnter Briefe auf (Abschnitt III).

119 Wydemanns Missfallen erregten auch die Briefe des Kartäusers Vinzenz von Aggsbach; hier bat er darum, bei einer Publikation der von ihm gelieferten Transkriptionen nicht genannt zu werden: Nr. 935, 972.

120 Zur positiven Theologie vgl. GOUHIER, Crise 27–36; HELL, Positive (Théologie); KARRER, Historisch- positive Methode; NEVEU, Orientations 39; PANNENBERG, Wissenschaftstheorie 240–244; STIRNIMANN, Fundamentaltheologie 462–473. Zu ihrer Rolle bei Bernhard vgl. STOCKINGERWALLNIG, Anliegen.

121 In seinem nächsten Brief verwendete Bernhard spicilegium erkennbar als Bezeichnung für das Werk in unmittelbarer Verbindung mit der Ankündigung von „Bibliotheca Mellicensis“ als Titel: Nr. 961.

Ein wesentlich deutlicheres Profil als bis 1715 entwickelte in den folgenden Jahren auch das Forschungsvorhaben von Hieronymus Pez. Es finden sich bereits seit Ende 1714 Belege dafür, dass der ursprünglich gemeinsame Plan der „Scriptores rerum Austriacarum“ bald die alleinige Angelegenheit von Hieronymus wurde (Nr. 378, 379, 386); Bernhard scheint diesen Schritt angeregt, wenn nicht gefordert zu haben122. Die Bibliotheksreisen dienten stets beiden Sammlungen, und Bernhard bat seine Korrespondenten häufig auch um Beiträge oder Hinweise für die „Scriptores“, jeweils unter Nennung von Hieronymus als Bearbeiter. Im Gegensatz zu Bernhard scheint der jüngere Bruder allerdings kaum Zugriff auf Hilfskräfte gehabt zu haben; er klagte darüber, sämtliche Verrichtungen eigenhändig ausführen zu müssen (Nr. 972). Bereits Anfang 1716 referierte er auf Anfrage von Steyerer die von ihm bearbeiteten Quellen (Nr. 539); für Eckhart erstellte er 1718 einen ausführlichen, leider nicht erhaltenen conspectus (Nr. 972, 1031). Auch das erste erhaltene Schreiben von Wydemann erscheint, wiewohl an Bernhard gerichtet, als Kommentierung einiger Quellen, die deutlich dem Arbeitsbereich von Hieronymus zuzuordnen sind (Nr. 845); in der Folge korrespondierte der Kartäuser auch direkt mit dem jüngeren Pez. Konzeptionelle Fragen zu dieser Sammlung kamen in den Briefen kaum zur Sprache, auch der Titel blieb von den frühesten Erwähnungen bis zur Veröffentlichung gleich; für beides konnte auf eine gut etablierte Tradition vergleichbarer Sammeleditionen rekurriert werden123. Dass Bernhard gegenüber Eckhart die Parallele zu Leibniz’ „Scriptores rerum Brunsvicensium“ hervorkehrte, mag zum Teil der Höflichkeit gegenüber einem Briefpartner geschuldet sein, dessen Beteiligung an jenem Werk Bernhard nicht unbekannt sein konnte (Nr. 912).

Im Hinblick auf beide Quellenwerke der Brüder Pez sei noch auf verschiedene Einzelaspekte hingewiesen, die in den Jahren 1716 bis 1718 auffallen. Wie bereits im Zusammenhang der Klosterreisen angesprochen (Abschnitt I.2), trat bei beiden Brüdern neben den Bibliotheksbeständen das Archivgut explizit in den Fokus des Interesses, wobei seine besonders schwierige Zugänglichkeit unterstrichen und als schädlich für die Forschung beklagt wurde124. Wünsche in dieser Richtung äußerte Bernhard bereits in seiner dritten Enzyklik explizit, ohne damit allerdings auf viel Resonanz zu stoßen; nur in wenigen Fällen vermerkten die Antworten, dass auch das Klosterarchiv durchsucht worden sei (Nr. 653, 763). Hieronymus räumte 1716 sogar ein, dass er noch nie das Melker Archiv hatte benutzen dürfen (Nr. 539).

Interessant ist in verwandtem Zusammenhang auch die Doppelbedeutung des Wortes codex: Zumeist bezeichnet es die in Bibliothek oder Archiv vorgefundene gebundene Handschrift, es kann jedoch auch eine vom Editor aus verschiedenen

122 PEZ, Thesaurus 1 ii: patri Hieronymo, mea cohortatione ad colligendos veteres Rerum Austriacarum scriptores converso

123 vgl. WALLNIG, Pez und Mauriner 163.

124 Zu Archiven und Archivierung in kulturgeschichtlicher Perspektive vgl. BURTON, Introduction; FRIEDRICH, Geburt; HOCHEDLINGER, Archivgeschichte; MILLIGAN, What Is an Archive; NESMITH, Seeing Archives. Zu den Archiven der Prälatenklöster im Besonderen vgl. PENZ, Allerhand schreibereien; PENZ, Kulturtechnik; PENZ, Prälatenarchive. Zu den Archivpraktiken der Mauriner vgl. DUBOISCHEVASSU, Classement; LEROY, Scribes.

Provenienzen zusammengestellte und angeordnete Sammlung von Quellen meinen (Nr. 912). Die Konzeption des sechsten Bandes des „Thesaurus anecdotorum“ als „Codex historico-diplomatico-epistolaris“ scheint sich hier bereits anzudeuten.

Insgesamt bietet die Forschungstätigkeit der Brüder Pez in diesen Jahren ein sehr detailliertes Bild der dynamischen Interaktion von Faktoren wie Verfügbar- keit der Quellen, historisch-kritischer Methodik, institutionellen Rahmenbedingungen, gelehrter Öffentlichkeit sowie unterschiedlichen Zielpublika mit ihren je verschiedenen Erwartungen und epistemischen Standards, die alle aufeinander und auf die Entwicklung der Forschungskonzepte einwirken. Dieser Prozess erfährt in der Regel dort seine größte Verdichtung und erlangt seine deutlichste Sichtbarkeit, wo sich gegensätzliche persönliche Interessen diskursiv und medial aufladen: in der Kontroverse, die, wie vor dem bereits geschilderten Hintergrund einleuchtend ist, ebenso wie der Briefwechsel stets monastisch-kirchliche und gelehrt-öffentliche Züge gleichzeitig trägt.

Dieser Prozess betrifft zudem keineswegs nur die konzeptuelle Ebene der Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung, sondern auch deren Praktiken, die im Spannungsfeld von theoretischer Fassung und konkreter Anwendung weiter- entwickelt und ausverhandelt werden. Beispielsweise der von den Brüdern Pez vielfach bemühte Diskurs der critica, der in vielem auch heute modern anmuten mag, sollte nicht ohne Blick darauf diskutiert werden, dass er sich bei ihnen mitunter auch mit Handlungsweisen verband, welche aus der Sicht gegenwärtiger historisch- kritischer Gepflogenheiten unerwünscht bis befremdlich wirken: dem Referieren von Urkunden ohne Einsichtnahme der Originale (Nr. 491), dem Beiseitelassen verfügbarer Überlieferungen bei einer Edition oder auch dem Herausschneiden von Blättern aus mittelalterlichen Handschriften (Nr. 912). Zumindest manches hiervon hätten auch zeitgenössische Gelehrte fragwürdig gefunden.

I.5 Gelehrter Konflikt – Gelehrte Medien

Antijesuitismus scheint eines der unverrückbarsten Motive des „Aufklärungs- narrativs“ in fast allen seinen Schattierungen zu sein. Es ist nicht angebracht, an dieser Stelle die Konflikte um Bernhard Pez in den stereotypen Farben progressiven innerkirchlichen Widerstands gegen die „schwarze Heerschar“ zu zeichnen, wiewohl die Formulierung und zumindest Teile der damit verbundenen Wahrnehmung bei den Zeitgenossen, ja sogar bei Briefpartnern der Brüder Pez auftreten (Nr. 1000). Gleichwohl ist es vonnöten, die Kontroversen des Betrachtungszeitraums vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen den Orden, insbesondere aber zwischen Bernhard und wechselnden jesuitischen Gegnern, darzustellen.

Auf den potentiell bis mitunter explizit antijesuitischen Impetus von Bernhards Forschungskonzepten wurde bereits wiederholt hingewiesen125, ebenso auf die große Vorsicht beider Brüder im brieflichen Umgang mit Mitgliedern der Gesellschaft

125 WALLNIG, Epistolae apologeticae; WALLNIG, Gasthaus und Gelehrsamkeit 163–173; vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik 562–564.

Jesu (Abschnitt I.3) sowie auf die misstrauische Sensibilität, mit der Hieronymus in seinen Aufzeichnungen jesuitische Belange erwähnte (Abschnitt I.2)126. Etwas klarer konturiert als in den vagen Erwähnungen Ende 1715 (Nr. 474, 476, 478) erscheint in zwei Briefen Bernhards an Calmet (Nr. 708, 762) die jesuitische „In- trige“ bei Hof, die in dem Versuch bestanden zu haben scheint, sich beim Kaiser im Zusammenhang mit den „Epistolae apologeticae“ über Bernhard zu beklagen127. Bernhard äußerte im Rückblick die Einschätzung, dass ihm die Jesuiten zwar lästig, aber nicht gefährlich werden können, befand allerdings auch, dass solche Konflikte, selbst wenn sich die Anschuldigungen als falsch erweisen, doch unweigerlich sein Ansehen schädigen mussten.

Im April 1717 erklärte Bernhard, dass ihn diese Auseinandersetzungen seit etwa zwei Jahren beschäftigt hatten (Nr. 762). Damit ist ein Zeitraum angesprochen, in den die Abfassung seiner „Epistolae apologeticae“, die dritte Auflage der „Cura salutis“ und die angesprochenen jesuitischen Reaktionen gefallen sein können128. In der Korrespondenz dieser Zeit spiegeln sich diese Vorgänge vor allem in Form anerkennender, ja anfeuernder Zusprüche von süddeutsch-benediktinischen Briefpartnern wie Meichelbeck oder Cherle, die sich auch die Verteilung der „Epistolae apologeticae“ angelegen sein ließen (Nr. 486, 547); auch neue wahrgenommene Provokationen der Gegenseite wurden Bernhard zugetragen, etwa die von Erhard Erhardt (Nr. 688). Der direkte Briefverkehr mit Jesuiten war weitgehend abgebrochen, zumindest was Bernhard anging (Abschnitt I.3), sieht man von der bemüht entgegenkommenden, aber im Kern unverbindlichen Reaktion von Kaspar Mändl auf dessen Herantreten ab (Nr. 712).

Während in diesem Streit die Grenzen zwischen den beiden Seiten eindeutig gezogen erschienen, stellte sich die Lage wesentlich komplizierter dar, sobald es zu Berührungen mit den gleichzeitig tobenden theologischen und kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in Frankreich kam. Dort, auf dem vorrangigen Schauplatz des Jansenismusstreits129, wurde die Societas Jesu landläufig als Rückgrat der antijansenistischen, antigallikanischen „römischen“ Partei angesehen. Die Verfechter und Sympathisanten der entgegengesetzten Position unter den Maurinern rechneten

126 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 27r (zur Türkensteuer 1716: non excipiebantur patres Jesuitae); ebd. 31r–v (über auf dem Land predigende Jesuiten). Dass – anscheinend im Gegensatz zur sonstigen Praxis – ein Konzept von Nr. 539 aufbewahrt wurde, kann in diesem Zusammenhang vielleicht als Vorsichtsmaß- nahme gewertet werden.

127 Bezeichnend ist, dass Calmet bei der Drucklegung dieser Briefe die einschlägigen Stellen unterdrückte.

128 Zur Vorgeschichte der Auseinandersetzung vgl. WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 12–14; zu ihrem weiteren Verlauf vgl. DUHR, Jesuiten 4/2 142f. Zu Aufbau und Argumentation der „Epistolae apologeticae“ vgl. WALLNIG, Epistolae; zu ihrem Vertrieb vgl. BACHLEITNEREYBLFISCHER, Buchhandel 95.

129 An neueren Darstellungen zum Jansenismus im 18. Jh. sei nur verwiesen auf DOYLE, Jansenism; MAIRE, Cause de Dieu; MCMANNERS, Church and Society 2 345–508; PHILLIPS, Church and Culture 190–205; TAVENEAUX, Jansénisme; VAN KLEY, Jansenists. Wegen ihres Materialreichtums sind zu manchen Punkten ungeachtet ihrer stark wertenden Darstellungsweise auch einige ältere Arbeiten weiterhin heranzuziehen: CARREYRE, Jansénisme; GAZIER, Mouvement janséniste. Ähnliches gilt im Hinblick auf die Resonanz im deutschsprachigen Raum für DEINHARDT, Jansenismus; SCHILL, Constitution Unigenitus. Speziell zu den Ereignissen im Gefolge der Konstitution „Unigenitus“ vgl. DINETDINET-LECOMTE, Appelants; GRES-GAYER, Théologie et pouvoir; GRES-GAYER, Unigenitus.

sichtlich mit der Unterstützung ihrer benediktinischen Ordensbrüder im Reich und berichteten über die Entwicklungen in diesem Sinne; unter den Korrespondenten Bernhards ist dies besonders deutlich bei Thiroux (Nr. 772). Sie überschätzten dabei allerdings meist die Tragweite des gemeinsamen Antijesuitismus und verkannten die nicht selten heftige Ablehnung ihrer gallikanischen Positionen, gegen die mehr als ein Gelehrter im Gesichtskreis der Brüder Pez sich auch öffentlich aussprechen wollte, so Benedikt Schmier (Nr. 525) oder Abt Benedikt Meyding von Scheyern (Nr. 817). Kritisch äußerte sich auch Meichelbeck (Nr. 734), der aus diesem Grund von seinem Vorhaben einer brieflichen Kontaktaufnahme mit den Maurinern abgerückt zu sein scheint130.

Bernhards persönliche Haltung erscheint ambivalenter. Einmal, im Oktober 1718, findet sich ein Hinweis, dass er an einer antijansenistischen Schrift arbeitete (Nr. 1006). Dabei mag er freilich einen Auftrag seiner Superioren ausgeführt haben, ähnlich jenem zu einer Schrift gegen Pasquier Quesnel, dem er sich 1715 noch mit Erfolg entzogen hatte (Nr. 411). Auch von der 1718 erwähnten „Dissertatio historica circa haeresin Jansenianam“ ist später nichts mehr zu hören. Dass dieses Projekt nicht der eigenen Einstellung Bernhards entsprang, deuten viele andere Hinweise in seiner Korrespondenz an. In seinen Briefwechseln mit den Maurinern lassen die wiederholten Bitten um Nachrichten (Nr. 646, 917) und die wenig zurückhalten- den Ausführungen seiner Korrespondenten (Nr. 700, 702, 772) eher eine Atmosphäre wohlwollender Anteilnahme erahnen. Inwiefern Bernhards romkritischen Aussagen gegenüber dem Protestanten Struve (Nr. 885) in diesem Zusammenhang Bedeutung beizumessen ist, lässt sich nicht sicher entscheiden; sie könnten auch primär in den Bereich des Reichspatriotismus und der Suche nach Verständigungs- möglichkeiten mit den nord- und mitteldeutschen Gelehrten einzuordnen sein. In einem früheren Brief an Massuet hatte sich Bernhard freilich schon einmal ganz klar ablehnend zur päpstlichen Unfehlbarkeit geäußert (Nr. 411). Aus einer Reaktion Wydemanns ist außerdem zu erschließen, dass Bernhard der Idee einer Appellation an ein allgemeines Konzil aufgeschlossen gegenüber stand – der Kartäuser begegnete dem mit entschiedener Distanzierung (Nr. 1023). Mit seiner Haltung kontrastiert die des Seitenstettener Benediktiners Edlinger, der auf einen Bericht zur Lage in Frankreich aus jesuitischer Sicht sarkastisch reagierte (Nr. 504).

Die Verbindung der antijesuitischen Problematik mit der Auseinandersetzung Bernhards mit Johann Benedikt Gentilotti ist nicht an der Oberfläche ersichtlich, dürfte aber in der Wahrnehmung der Zeitgenossen in der Luft gelegen sein. Dies deutete Edlinger an, der hinter Gentilotti die Neider ( aemuli ) des Benediktiner- ordens stehen sah (Nr. 974). Aus Wien erreichte Bernhard die Nachricht, dass ein Jesuit die „Epistola ad Menkenium“ seines Gegners verteilte (Nr. 828), und er zog Erkundigungen darüber ein, ob den Wiener Mitgliedern der Societas die Identität des Autors bekannt sei (Nr. 851). In dem letzten überlieferten Brief Gentilottis vor dem Abbruch der Kommunikation (Nr. 719) stehen die Reaktionen auf Bernhards Absicht zur Publikation des „Codex Udalrici“ und auf den Brieftraktat von Thiroux

130 STOCKINGER, Meichelbeck 151.

(Abschnitt I.3) unmittelbar hintereinander, wobei Gentilotti an dieser Stelle recht unfreundliche Worte für die „Mémoires de Trévoux“ fand.

All das sollte nicht überbewertet werden, doch war Gentilotti der Gesellschaft Jesu affiliiert131 und hatte sich im Streit um die „Cura salutis“ stets betont zurück- haltend geäußert (Nr. 434, 466, 509). Bei Bernhard mochte dagegen der Eindruck entstanden sein, dass Gentilotti in seiner eng scheinenden brieflichen und persön- lichen Verbindung mit Bartenstein, Montfaucon und anderen, die sich im Habitus der res publica literaria gaben, auch deren mitunter progallikanische und romkritische Positionen teilte. Damit hätte er jedoch nicht nur Gentilotti, sondern auch Bartenstein falsch eingeschätzt, sofern die Vermutung zutrifft, dass dieser Bernhards Schreiben mit der Klage über die „Epistola ad Menkenium“ an Gentilotti weitergegeben haben könnte (Abschnitt I.3).

Freilich spielte sich die Auseinandersetzung zwischen Pez und Gentilotti in der Hauptsache auf anderen inhaltlichen Ebenen und in anderen Medien als dem des Briefwechsels ab, nämlich in jenen der Gelehrtenzeitschrift und der öffentlichen Streitschriften132. Es war nicht das erste Mal, dass Bernhards Aktivitäten in diesem Bereich sichtbar wurden. Bereits 1712 scheint Konrad Sigler versucht zu haben, eine Verbindung mit Leipziger Journalen herzustellen (Nr. 303, 308)133; zu einer anhaltenden und dynamischen Interaktion kam es seit 1715 durch die umtriebige Vermittlungstätigkeit Bartensteins (Abschnitt I.3). Die verfügbaren Informationen aus dem katholischen Süden, besonders aus Wien, wurden bereitwillig aufgenom- men und entfalteten ihre integrative Funktion gegenüber der vorgestellten Gemein- schaft der „deutschen“ Gelehrten ebenso wie jener der res publica literaria134. Eine Übersicht der Nennungen der Brüder Pez in protestantischen Gelehrtenjournalen (Anhang III.1) verdeutlicht diesen Vorgang; Bernhard selbst bot sich bald schon seinen Briefpartnern in Frankreich, Salzburg (Nr. 525) oder Lothringen (Nr. 793) als Vermittler von Einrückungen in Leipziger Zeitschriften an. Im Falle der von Thiroux verfassten Apologie der „Gallia Christiana“ von Denis de Sainte-Marthe gelang eine solche Einschaltung auch tatsächlich (Nr. 702). Diese Einrückung, die Bernhard unter dem Pseudonym „Gerardus Telesius“ vornehmen ließ, verknüpfte in ihrer Form, nämlich jener der in einen fiktionalen Rahmen eingebetteten gelehrten Streitschrift, ebenso wie durch ihren Inhalt, in dem es um Widerstand gegen jesuitische Kritik an den Früchten benediktinischer Gelehrsamkeit ging, den Konflikt um die „Cura salutis“ mit Bernhards Streit mit Gentilotti.

131 Rovereto, Biblioteca Rosminiana, Fondo Gentilotti 4.1.

132 Für die Zeit um 1700 ist eine tendenzielle Ablösung der zweiten durch die erste Form festzustellen: GIERL, Pietismus und Aufklärung 395–413. Zum Ineinandergreifen von Zeitschrift und Briefwechsel vgl. STUBER, Journal and Letter.

133 Vieles deutet darauf hin, dass der von Sigler über Hyazinth Baumbach 1713 eingesendete Auszug aus dem „Neuen bücher-saal“ zu identifizieren ist mit der dortigen Einrückung zu Bernhards „Bibliotheca Benedictina“; vgl. Anhang III.1 sowie Nr. 650.

134 PEPER, Österreichische Gelehrtenwelt. Zum Niederschlag der Arbeiten der Brüder Pez und anderer historisch forschender Ordensgeistlicher in den protestantischen Zeitschriften vgl. BENZ, Zwischen Tradition und Kritik 425–427, 440–442, 598–601, 546, 606f.; HAMMERMAYER, Forschungszentren 173f.

Dieser Konflikt135 entzündete sich an Bernhards Veröffentlichung seines „Conspectus insignis codicis Udalrici Babenbergensis“ in den „Acta eruditorum“. Diese Publikation ist im Kontext der anderen in dieser Zeit veröffentlichten Enzykliken und „Conspectus“ Bernhards zu sehen (Abschnitt I.4), ebenso in Verbindung mit dessen seit der „Nachricht von den vornehmsten codicibus“ gewonnener Erkenntnis, dass sich mit der Bekanntmachung bisher unbekannter historischer Quellen im Rezipientenkreis der Leipziger Journale positive Aufmerksamkeit erreichen ließ. Bernhard kündigte die Publikation des von ihm in Zwettl aufgefundenen „Codex Udalrici“, eines Formularbuchs aus dem 12. Jahrhundert, an, wobei er diejenigen unter den darin enthaltenen Urkundentexten jeweils mit einem Asterisk markierte, die er für ungedruckt hielt. Hier setzte die Kritik des fiktiven „Angelus Fonteius“, in dem Bernhard und sein Umfeld auf Anhieb Gentilotti erkannten, an. In seiner als Brieftraktat an den Herausgeber der Leipziger „Acta eruditorum“, Johann Burkhard Mencke, aufgemachten Streitschrift bemängelte „Fonteius“ zweierlei: zunächst die Tatsache, dass viele der so hervorgehobenen Stücke des „Codex Udalrici“ doch bereits publiziert waren, vor allem in zwei Werken von Jakob Gretser respektive Sebastian Tengnagel; dann den Umstand, dass einige der Stücke im Kontext des Investiturstreits antipäpstliche Aussagen enthielten. Diese Texte, meinte „Fonteius“, wären bei einer Edition ebenso auszusparen wie die bereits früher gedruckten.

Bernhard antwortete mit einer bereits vor dem Jahreswechsel fertig gestellten, jedoch erst Anfang 1718 zur Auslieferung gelangten Gegenschrift unter dem Titel „Dissertatio apologetico-litteraria“. Er griff dabei die Fiktion Gentilottis auf und wendete sie gegen ihren Urheber, indem er unter seinem eigenen Namen an seinen „Freund“ Gentilotti schrieb und diesen als Schiedsrichter zwischen sich selbst und „Angelus Fonteius“ anrief 136 . Er verteidigte die Absicht zur vollständigen Edition des „Codex Udalrici“, wobei er gegen den ersten Kritikpunkt auf die qualitative Verbesserung bei einer Neuedition und auf die schlechte Zugänglichkeit der älteren Drucke verwies, gegen den zweiten die Pflicht zur historischen Wahrheit hervorhob. Zugleich pochte er darauf, dass nach den Regeln der Freundschaft unter Gelehrten Hinweise wie der auf existierende Drucke im privaten Rahmen und nicht vor dem Forum der Öffentlichkeit zu geben wären.

Gentilotti erwiderte darauf in Form eines neuerlichen Briefes von „Fonteius“, diesmal an den „Schiedsrichter Gentilotti“, den dieser mit einem Begleitschreiben an Pez „weiterleitete“ („Epistola vindicata“). Bereits im Urteil der Zeitgenossen bot diese Replik zwar eine gehässige Verschärfung des Tons, aber kaum substantielle neue Argumente (Nr. 974, 982). Zu einer weiteren Entgegnung Bernhards kam es, wohl auch auf Druck von Abt Dietmayr, nicht mehr (vgl. Abschnitt I.1). Zu Bernhards Besuch in Wien im April 1718 vermerkte Hieronymus, dass jener dort

135 Knappe Darstellungen dazu finden sich beiBENZ, Zwischen Tradition und Kritik 423; KATSCHTHALER, Briefnachlass 45–48; MAYER, Nachlaß 18 543f., 549–552, 557f.; PEPER, Carteggio 486; PEPER, Österreichische Gelehrtenwelt 22f. Elemente einer Replik auf die Bedenken Gentilottis gegen eine Publikation des „Codex Udalrici“ flocht Bernhard auch in die Vorrede des „Thesaurus anecdotorum“ dort ein, wo er auf die Publikation von Urkundentexten aus St. Emmeramer Codices einging: PEZ, Thesaurus 1 lxxxi–lxxxiii.

136 Zu diesem Kunstgriff gratulierte er sich selbst etwa in Nr. 912: Sic ludendus erat illusor .

weder Gentilotti noch Mitglieder der Gesellschaft Jesu traf, sowie dass Gentilotti Bernhard seine zweite Antwortschrift über Bartenstein zukommen ließ137.

Unter Bernhards Korrespondenten war die vorrangige Reaktion auf die Kontroverse eine von Sympathie geprägte, wobei ganz unterschiedliche Aspekte in den Blick genommen wurden. Während einige auf einzelne Argumente Gentilottis und Bernhards inhaltlich näher eingingen und dabei teils die Frage der Neuedition von bereits Publiziertem (Nr. 947), teils jene des Zurückhaltens von Quellen aus theologischen Rücksichten diskutierten (Nr. 937), konzentrierte sich die Wahrnehmung anderer auf die persönliche Zurücksetzung Bernhards, Wege zur Wahrung seiner Ehre sowie auf den von Gentilotti begangenen Bruch der Regeln der Gelehrten- freundschaft (Nr. 853)138. Einige Details verdienen besondere Beachtung, etwa der Umstand, dass Konrad Sigler noch ohne Wissen um die Kontroverse im September 1717 genau das tat, was Bernhard und andere von Gentilotti erwartet hätten: Er wies diskret in einem Brief auf die bereits erfolgten Urkundenpublikationen bei Gretser hin (Nr. 821). Einige mitteldeutsche Gelehrte vermuteten, dass sich hinter dem Pseudonym „Angelus Fonteius“ der römische Historiker Giusto Fontanini ver- berge139, was vermutlich das Ausmaß der in ihren Kreisen vorhandenen Kenntnisse über die österreichische Gelehrtenwelt zu erkennen gibt. Bartenstein und Van den Driesch rangen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Abhängigkeit von Mitgliedern der Hof- und Adelskreise um eine neutrale Position; Wydemann vertrat eine solche einmal mehr aus monastischer Überzeugung (Nr. 997).

Im Lichte des Gesagten liegt nahe, dass sich die beschriebenen Bruchlinien auch in den Kontroversen späterer Jahre wiederfinden dürften; dies wird sich mit der Aufarbeitung der entsprechenden Korrespondenz erweisen. Festzuhalten ist jedenfalls, dass der Briefwechsel Bernhards mit Gentilotti 1721 auf einer versöhnlichen Basis wieder in Gang kam.

Ohne dass dafür ein Beweis beizubringen wäre, liegt es doch nahe, zwei Entwicklungen des Frühjahres 1718 mit dem Streit um die Publikation des „Codex Udalrici“ in Zusammenhang zu bringen: Bernhards gesundheitlichen Zusammenbruch und seine Einladung nach Wien, wo offenbar einige hofnahe Adelige auf ihn aufmerksam geworden waren (Abschnitt I.1). Auch in diesem Punkt dürfte also eine Verbindung bestehen zwischen den bisher geschilderten Konflikten und der für die folgenden Jahrzehnte bis etwa zur Jahrhundertmitte so virulenten Frage der Neuorganisation monastischer Gelehrsamkeit.

Bereits die Terminologie wirft hierbei Probleme auf. Klar erkennbar ist, wie schon bei den Aktivitäten des Jahres 1715, die Kontinuität zu Leibniz’ Bemühungen um eine auch so bezeichnete „Akademie“140. Erst der von Bernhard Pez 1729

137 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v.

137 Zu Fragen von Ehre, Status und Freundschaft in Konflikten unter Gelehrten vgl. FÜSSEL, Gelehrtenkultur; KÜHN, Konflikt; KÜHN, Provokation; KÜHN, Wissen 163–299; WAQUET, Univers de conflits.

139 Diese Mutmaßung wurde in den „Acta eruditorum“ und den „Neuen zeitungen“ verbreitet: vgl. Nr. 823.

140 Zu den Wiener Akademieplänen dieser Jahrzehnte insgesamt vgl. BERGMANN, Leibnitz in Wien; HAMANN, Leibnizens Plan; KLOPP, Leibniz’ Plan; MEISTER, Akademie 12f.

vorgelegte Entwurf enthält allerdings auch genau dieses Titelwort141, während im hier betrachteten Zeitraum der Ausdruck congregatio überwiegt142. Erste Anspielungen, etwa auf die Aussicht, dass una nos domus iungat, finden sich schon Ende 1716, hier in der Korrespondenz mit Joachim Edlinger (Nr. 694). Zu Beginn des Jahres 1717 scheint Bernhard den Plan unter explizitem Hinweis auf die Mauriner- kongregation gegenüber Louis Pisant geschildert zu haben, der mit Hinweisen auf kirchenrechtliche Regelungen für das monastische Leben antwortete (Nr. 754). Vor diesem Hintergrund können auch schon die Paratexte der „Bibliotheca Benedictino- Mauriana“, in denen Bernhard die Benediktiner der deutschen Lande aufgefordert hatte, den Maurinern nachzueifern143, als Vorstufe gedeutet werden.

Einen wichtigen Schritt zur Konkretisierung der zu errichtenden Kongregation dürften die Gespräche bedeutet haben, die Bernhard im April 1718 in Wien führte. Wie bereits beschrieben (Abschnitt I.1), reiste Bernhard zwar auf Anordnung des Abtes in die Residenzstadt, doch scheint dieser nicht über alle Details informiert gewesen zu sein. Jedenfalls wurde die Frage eines äbtlichen Visitationsrechtes im Hinblick auf die Kongregation im Sommer zu einem Streitpunkt zwischen Diet- mayr und Bernhard144. Hieronymus zählt in seinen Aufzeichnungen namentlich die Personen auf, mit denen Bernhard in Wien zusammentraf: Johann Wilhelm Grafen Wurmbrand, Gundacker Thomas Grafen Starhemberg, Johann Christoph Grafen Oedt, Johann Franz Hegenmüller von Dubenweiler auf Albrechtsberg145 sowie, als hochrangigsten, den Obersthofkanzler Philipp Ludwig Grafen Sinzendorf. Besucht wurde Bernhard seinerseits von Johann Christoph Bartenstein, der in diesem Jahr zum katholischen Glauben übergetreten war146, von Gerhard Cornelius van den Driesch sowie von Johann Karl Newen von Newenstein147. Damit ist auch der Personenkreis umrissen, der in den folgenden gut eineinhalb Jahrzehnten die erste Reihe der an Gelehrsamkeitsfragen interessierten höfischen Elite ausmachen sollte.

Ende 1718, nach der Auseinandersetzung mit Abt Dietmayr und in direktem Zusammenhang mit ihr, brachte Bernhard das Projekt auch gegenüber Eckhart zur Sprache und stellte dabei neuerlich die Anlehnung an die Maurinerkongregation heraus, indem er von einer erigenda in Austria nostrorum congregatio ad S. Maurianae imitationem sprach (Nr. 1003). Im folgenden Dezember reagierte Wydemann

141 In der Kremsmünsterer Überlieferung korrigiert aus „Universität“: StiA Kremsmünster, JA; vgl. GLASSNER, Académie 497; GLASSNER, Benediktinerakademie 148.

142 Zu Bemühungen um Akademiegründungen in den österreichischen Landen und Süddeutschland inklusive der Rolle von Benediktinern vgl. HAMMERMAYER, Forschungszentren 155f.; KATSCHTHALER, Briefnachlass 41; ZLABINGER, Muratori 18–61.

143 STOCKINGER, Maurinerkongregation 88–91.

144 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 37v.

145 Von Hieronymus als praenobilis de Albrechtsberg bezeichnet. Die Familie war mit dem Stift Melk eng verbunden: vgl. Nr. 699.

146 Vor dem Hintergrund dieser bisher nicht berücksichtigten Quelle sind sämtliche Angaben zu Bartensteins Konversion in der bisherigen Literatur zu revidieren, zuletzt: PEPER, Konversionen 102; PEPERWALLNIG, Ex nihilo 181.

147 StiA Melk, Karton 7 Patres 13, Fasz. 1, Nr. 3, 35v.

auf die Nachricht von einer positiven Wendung hinsichtlich der congregatio Benedictino-Austriaca, olim Mellicensis (Nr. 1023). In dieser Bezeichnung verdichten sich gleich mehrere Referenzen, die Bernhard in seine Pläne und in die Argumentation dafür hineinverwoben hatte: die eindeutig dem kirchlichen Bereich angehörende Organisationsbezeichnung „Kongregation“, das Benediktinertum, „Österreich“ in seinen mehrfachen Bedeutungen sowie Melk, worin wohl eine Anspielung auf die Melker Reform des 15. Jahrhunderts steckt148.

Ein Interesse an den Vorgängen in Wien lässt sich auch in den Leipziger Gelehrtenjournalen ausmachen. Auch hier wurde versucht, mit der Stilisierung der Brüder Pez als „deutsche“ Entsprechung zu den Maurinern149 einen konfessions- übergreifenden Referenzrahmen für die gemeinsame Arbeit an der historia patria zu schaffen. Die spätere Kooperation Bernhards mit der „Deutschen Gesellschaft“ reihte sich somit in eine Tradition ein, welche mit den historisch-philologischen Forschungen und organisatorischen Vorhaben Lambecks und Leibniz’ begonnen hatte und später mit Johann Christoph Gottscheds Engagement in der „Societas Incognitorum“ ihren Höhepunkt finden sollte150.

Freilich gibt es keine Anhaltspunkte dafür, welche Vorstellungen man sich im Betrachtungszeitraum von der inhaltlichen Ausrichtung einer solchen Kongregation machte; ebenso wenig sind bisher die diesbezüglichen Entwicklungen im Umfeld des Hofes erforscht151. Die Vermutung, dass die eigenen Forschungsanliegen der Brüder Pez in einer solchen Institution einen wichtigen Platz eingenommen hätten, dürfte freilich kaum in die Irre gehen. In diesem Sinne ließe sich vielleicht das immer detaillierter werdende Arbeitsprogramm in Bernhards aufeinanderfolgenden Enzykliken, und insbesondere die darin enthaltenen Überlegungen zur Organisation kollaborativen Arbeitens, unter die Vorstufen des Kongregationsplanes einreihen. Gerade in dem dritten Rundschreiben ist davon die Rede, dass sich wohl in einem jeden Kloster der eine oder andere geeignete Mönch finden lasse, der für die Erhebung von Daten für die „Bibliotheca Benedictina“ in Frage komme.

Am Beginn dieser Einleitung wurde bemerkt, dass es sich bei ihr nicht um eine systematische Aufarbeitung des Materials, sondern um eine strukturierte Heranführung an die Themen und Probleme der Korrespondenz handelt. In den einzelnen Abschnitten wurden dann unterschiedliche Entwicklungen und Bruchlinien beleuchtet, bei denen jedoch immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass sich individuelle Konflikte mit Bedeutungsinhalten und Schlagworten der institutionellen und öffentlichen Sphäre verbinden konnten. Diese Begriffe ermöglichen eine

148 Zu dieser vgl. ANGERER, Erneuerung; ANGERER, Reform von Melk; GLASSNER, Stift Melk; NIEDERKORN- BRUCK, Melker Reform. Zu Bernhards Interesse an ihr vgl. STOCKINGER, Süddeutsche Benediktiner.

149 Etwa in einer Meldung über die „Bibliotheca Benedictino-Mauriana“: Neue zeitungen von gelehrten sachen (1716) 6. Ebenfalls von protestantischer Seite, nämlich von Johann Albert Fabricius, wurde Bernhard schon 1717 als ein „neuer Mabillon“ bezeichnet: vgl. Nr. 847; sowie HAMMERMAYER, Forschungszentren 165; STOCKINGER, Meichelbeck 142f.

150 Vgl. DÖRING, Gottsched 398; HAMMERMAYER, Forschungszentren 161f.

151 Hier könnte eine systematische Auseinandersetzung mit der Korrespondenz von Johann Wilhelm Grafen Wurmbrand nähere Aufschlüsse bieten. Diese ist im Schlossarchiv Steyersberg erhalten; Abschriften finden sich in ÖNB, Cod. 2770/1.

Einordnung der geschilderten Vorgänge in allgemeinere ideengeschichtliche Narrative – und relativieren die Letzteren zugleich durch ihre empirische Verankerung im kontingenten Individuellen152.

Ein für die verbale Konstituierung der Beziehungen unter Gelehrten nach wie vor essentielles semantisches Feld kreiste um die Begriffe res publica literariaund orbis eruditus mit verschiedenen Varianten, an die eine spezifische Ausformung der Vorstellung vom bonum publicum anknüpfte154. Teils stattdessen, teils ergänzend dazu wurde in den benediktinischen Korrespondenzen auf die Ehre ( gloria, decus, honor ) des Ordens als verbindende Zielvorstellung rekurriert. Von Interesse sind nicht zuletzt die Mischformen, etwa das Einbeziehen des Nutzens für die Kirche (Nr. 796, 798, 992), das Evozieren einer res publica literaria Austriaco-Benedictina (Nr. 900) oder eines monasticae reipublicae bonum (Nr. 795).

Der Referenzrahmen der res publica literaria spielte, was nicht überraschen darf, in der interkonfessionellen Kommunikation eine zentrale Rolle. Hinzu kamen hier jedoch wiederkehrende Bezüge auf die Germania nostra und die historia patria als Identifikationsangebot, in welchem sich „deutsche“ Benediktiner und evangelische Leipziger Gelehrte gleichermaßen wiederfanden155. Unter diesem Gesichtspunkt kam nicht nur dem Interesse an diplomatischen und historiographischen Quellen des „gemeinsamen“ Mittelalters die Rolle eines verbindenden Forschungsgegen- standes zu. Daneben wies auch die von Eckhart mit Bernhard geteilte Faszination für volkssprachliche Texte des Früh- und Hochmittelalters bereits in Richtung der Vorstellung eines „Volkes“, das sich – jenseits altständischer Strukturen – über seine Sprache, „Sitten“ und „Gebräuche“ konstituierte. Diese Terminologie war zwar in dieser Phase noch nicht fixiert, aber im Entstehen: Der Leipziger Pez-Korrespondent Johann Jakob Mascov156 sollte diesen Ansatz 1726 in seiner „Geschichte der Teutschen“ konkretisieren. Die im Betrachtungszeitraum herrschende Unschärfe der Begriffe Austria157und Germania – jeweils für sich und in ihrem Verhältnis zueinander – spiegelt dabei die Offenheit der ideengeschichtlichen Dynamik, die ihrerseits nur vor dem Hintergrund der Neuverhandlung der Machtverhältnisse in Europa durch den Spanischen Erbfolgekrieg zu verstehen ist.

Nach wie vor in häufiger Verwendung war entlang verschiedener, auch und gerade innerbenediktinischer Abgrenzungslinien das Gegensatzpaar „Kritik“158 und

152 Zum Vorkommen der im Folgenden erörterten Begriffe in der Korrespondenz vgl. Register II.

153 BOTSWAQUET, République des Lettres; GIERL, Res publica litteraria; GRAFTON, Sketch Map; JAUMANN, Politische Metapher; JAUMANN, Respublica litteraria; WAQUET, République des Lettres.

154 PEPER, Ohne Parteilichkeit 275–279.

155 PEPER, Ohne Parteilichkeit 279f.; WALLNIG, Pez im Briefkontakt 138.

156 Zu ihm vgl. EISENHART, Mascov; FUETER, Historiographie 318; GOERLITZ, Forschungsmethode; LESKIEN, Mascov; VOIGT, Mascov; WALLNIGSTOCKINGER, Korrespondenz 1 806.

157 Zu Entwicklung und Varianten des Österreichbegriffs vgl. KLINGENSTEIN, Österreich; MAZOHLWALLNIG, (Kaiser)haus – Staat – Vaterland; ZÖLLNER, Österreichbegriff 48–57.

158 Zu den diversen Strängen der neuzeitlichen Entwicklung von „Kritik“ als Begriff und Praxis vgl. BORGHERO, Certezza; BORGHERO, Historischer Pyrrhonismus; BORMANN, Ursprung; BORMANNHOLZHEYTONELLI, Kritik col. 1255–1267; BRAVO, Critice; GRAFTON, Forgers; GRAFTON, Scaliger; JAUMANN, Bibelkritik; JAUMANN, Critica; JEHASSE, Renaissance; POTT, Critica perennis; RÖTTGERS, Kritik 653–662; TRESKOW, Bayle; VANEK, Ars corrigendi; WALTHER, Kritik.

„Scholastik“, wobei Bernhard aus gutem Grund davon absah, diese Kampfbegriffe in seinen Rundschreiben zu verwenden. Während sie in den Briefen dieses Bandes meist als Etiketten auftreten, deren Bedeutung eher vorausgesetzt als expliziert wird, finden sich im Hinblick auf die terminologische Fassung der geschichtsforschenden Tätigkeit einige Passagen mit substantieller Diskussion, etwa bei Franz Wagner zur Differenzierung zwischen historicus und antiquarius (Nr. 1030); an anderer Stelle bezeichnet Hieronymus sich und Bernhard, und implizit wohl auch Steyerer, als rei antiquariae studiosi (Nr. 539)159.

Mit Antijesuitismus, antischolastischer Einstellung, Protonationalismus oder der Historisierung von Geschichte160 sind freilich zentrale Motive der gängigsten Aufklärungsnarrative angesprochen. Es ist allerdings nicht die Intention dieser Zeilen, solche Elemente in der Pez-Korrespondenz nachzuweisen, um diese in die Geschichte oder zumindest die Vorgeschichte der „Aufklärung“ einzureihen. Vielmehr sollte sichtbar gemacht werden, dass aus dieser Korrespondenz – wie aus anderen Quellenbeständen von ähnlicher Breite und Dichte – neue Rückschlüsse auf diese Phänomene und Entwicklungen gewonnen werden können, und zwar jeweils für sich, aber auch in ihren Beziehungen zueinander, die sich als komplexer und variantenreicher erweisen, als die genannten Narrative sie zumeist darstellen. Hierin liegt das Forschungspotential der Pez-Briefe – jenseits der Frage, ob, und wenn ja, in welcher Hinsicht, es sich hier um eine Form von „Aufklärung“ handelt.